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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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zu sein. Waldkauz. Häufigste Eulenart in Mitteleuropa.«

    »Sie sammeln also Waldkäuze?«
    »Falsch.«
    »Sondern?«
    »Ich bin auf der Suche nach einem Waldkauz.«
    »Sie sind auf der Suche nach einem Waldkauz? Aber hier haben Sie Dutzende …«
    Der Unterberger sah Adrian starr an, sodass dieser verstummte. Es war still im Raum, bis auf das Geräusch sich aufplusternder Federn, ein gelegentliches Huhu sowie so manches Krächzen in den Käfigen.
    »Unser Dorf«, erklärte der Unterberger schließlich, »ist nicht wie andere Dörfer. Mimmer wusste das. Er hat darüber geschrieben. Doch es gibt noch weit mehr als das, was er zu Papier brachte. Geheimnisse. Uralte Geheimnisse, über die er mit niemandem reden wollte. Geheimnisse, die nicht das Dorf betreffen, sondern den Wald. Mimmer begann zu trinken. Süßen, ekligen Honigwein, ein schreckliches Gesöff, aber er war regelrecht verrückt danach. Etwas wunderlich, der Alte. Wollte, dass ich davon koste und das Zeug auf dem Markt im Nachbarort verkaufe. Flaschenweise schleppte er den Honigwein an. Ich habe ihm die Flaschen abgenommen, sie ausgeleert und ihm die Dinge verschafft, die er im Tausch dafür haben wollte.«
    »Was war das?«
    Adrian flüsterte, um den Unterberger nicht in seinem Redefluss zu stören.
    »Ich sagte ja bereits, dass der Alte wunderlich war. Er sammelte alle möglichen anatomischen Studienobjekte.«
    »Körperteile in Gläsern!«
    »Genau. Ich nehme an, Sie waren im Museum. Dort konnten Sie ja die ganze Sammlung bewundern. Ganz schön schräg,
nicht wahr? Jedenfalls trank Mimmer vor allem gegen Ende gerne ein Glas zu viel, wenn Sie verstehen, was ich meine. Dachte wohl, dass ihn das dichterisch inspiriert. Dann hat er ungebremst geredet. Vieles war unverständlich, vieles klang nach reiner Fantasie, aber ich weiß auch, dass er tatsächlich tiefer in den Wald eingedrungen ist als irgendjemand sonst. Es gibt ja«, der Unterberger warf einen Blick über Adrians Schulter, als erwartete er von dort einen Lauschangriff, »nun, es gibt im Ort dieses Gerede von der Hütte im Wald, wo eine alte Frau leben soll. Wir verwenden das als Redewendung, wenn wir das Gefühl haben, dass jemand«, er tippte sich an die Stirn, »nicht ganz dicht ist oder wild fantasiert. Dann sagen wir, der hat wohl die Alte in ihrer Hütte im Wald besucht. Sie verstehen?«
    Adrian nickte.
    »Auch wenn jemand zu viel Alkohol konsumiert oder sonst ein Rauschmittel. Das wird hier nicht wörtlich verstanden. Aber Dichter, Poeten und so Volk aus aller Welt, die waren von dieser Vorstellung immer maßlos fasziniert. Sie zogen los, um die ›Quelle der Inspiration‹ zu suchen, diese Verrückten. Auch Mimmer hat daran geglaubt. Er ist tief in den Wald gewandert und manchmal ganze Tage weggeblieben. Meist kam er mit einem gewaltigen Rausch zurück, sodass alle vermuteten, er hätte sich zum Wirtshaus in einem Nachbarort durchgeschlagen. Doch manches Mal«, der Unterberger legte einen Finger auf die Lippen, »und das bleibt bitte unter uns, manches Mal brachte er etwas mit . Aus dem Wald. Er ging mit leeren Flaschen hinein und kam mit vollen zurück. Eben diesem grässlichen Honigwein. Ich weiß nicht, woher er ihn hatte. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Hütte, und unter Umständen ist dort ein uraltes,
vergessenes Fass gelagert. Das ist ziemlich wahrscheinlich. Vielleicht aber«, und jetzt klang seine Stimme dramatisch, »vielleicht ist auch etwas dran an den Geschichten. Inzwischen halte ich es für möglich.«
    Adrian schüttelte den Kopf.
    »Honigwein? Augäpfel in Gläsern? Aber was hat das alles mit den Vorgängen im Dorf zu tun? Und warum sammeln Sie Käuze?«
    »Ich sammle keine Käuze. Ich fange sie und sperre sie hier ein, beobachte sie, höre ihnen zu, so lange, bis ich den richtigen habe.«
    »Den, äh, richtigen Waldkauz?«
    »Mimmer hat mir einmal, nicht lange vor seinem Tod, als er besonders betrunken war, eine merkwürdige Geschichte erzählt. Die Hälfte davon war gelallt und unverständlich, doch etwas konnte ich trotzdem verstehen. Er erwähnte einen sprechenden Waldkauz, der tagsüber im Wald auf einem Baum schläft und so klug ist, dass er alle Geheimnisse kennt. Seither bin ich auf der Suche. Ich fange jeden Kauz, den ich finde, und warte, dass einer zu sprechen beginnt.«
    »Aber das ist verboten. Käuze gehören zu den besonders geschützten Arten, Sie dürfen sie nicht einfach fangen und in Käfige sperren.«
    Der Unterberger lachte.
    »Als ob das jemanden

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