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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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nicht gleich von meinem Weg abbringen.
    Allerdings war ich nach ein paar flüssig geschriebenen Seiten an meine Grenzen gestoßen. Denn so sehr ich mich eigentlich in meine Figuren hineinversetzen kann, die Perspektive des Gendarmen verursachte mir größere Schwierigkeiten.
    Das Monster knurrt zufrieden.
    Schöne Worte, doch um was für ein Monster handelte es
sich? Ich kam einfach nicht darauf. War das Frissmeinnicht ein reales Wesen? Hatte es vier Beine und ein Maul voll scharfer Zähne? Ich dachte an den Wolf, den sie jagten. Doch welche Rolle spielte dann die Dose? Noch gab es keine Wölfe in Dosen in Supermarktregalen.
     
    Natürlich hätte ich in der Früh abreisen können, nachdem mich der Lehrer so unspektakulär versetzt und der Schnüffler sich so unverschämt eingemischt hatte, doch etwas hielt mich in W. Möglicherweise Neugier, Instinkt oder was auch immer. Seit dem - Maus sei Dank - Ausgrabungsfund unter meinen Dielen wollte ich das Rätsel lösen. Ich erkannte das Potenzial und hatte die leise Hoffnung, den Schreibfluss wieder in Gang zu bringen. Wenn ich wüsste, welches Geheimnis dieses Dorf verbarg, könnte ich daraus eine haarsträubend spannende Geschichte basteln und die drohende Deadline doch noch einhalten. Aber es musste rasch etwas passieren!
    Daher hatte ich meinen Aufenthalt um eine Nacht verlängert, um noch ein paar Nachforschungen anstellen zu können. Das Mimmer-Museum, so skurril es war, brachte mich letztendlich nicht weiter. Ein verschollener Dichterkopf? Andererseits bestand zwischen Mimmer und dem Gendarmen irgendein Zusammenhang, das hatte ich im Gefühl. Nur welcher?
     
    Vom Mimmer-Museum war ich daher direkt zur Dorfkirche gegangen. Nicht dass ich plante, den Gottesdienst zu besuchen, ich hatte seit Jahren keiner Messe mehr beigewohnt. Ich ertrug das Salbungsvolle, Weihrauchige, Theatralische des Katholizismus nicht. Kirchen waren für mich kulturhistorisch und architektonisch interessante Gebäude. Religiös war ich nur insofern,
als ich an eine höhere Macht glaubte, die für mich jedoch weder Namen noch Gesicht hatte und die ich mit keiner der Gottheiten diverser Weltreligionen in Verbindung bringen konnte, weshalb ich auch nirgends Mitglied war.
    Mein Weg zur Kirche an diesem immer noch grauen, aber zumindest trockenen Sonntagvormittag hatte folglich andere Gründe. Ich ging davon aus, dass, wie von Miss Mausezahn angedeutet, sich die gesamte Einwohnerschaft in katholischer Eintracht ordnungsgemäß beim sonntäglichen Gottesdienst versammelte, was mir Gelegenheit geben würde, sie beim Verlassen des Gebäudes gründlich zu studieren. Eine gewisse Hoffnung, zugegeben, hatte ich auch noch, den pädagogischen Versetzungskünstler unter ihnen zu entdecken und ihm gründlich den Kopf zu waschen. Aber eigentlich war das bereits nebensächlich. Mich interessierte ein Blick auf die Gesichter von W., denn Gesichter waren immer schon die wichtigste Inspirationsquelle für meine schriftstellerische Tätigkeit gewesen. Außerdem war irgendetwas hier nicht normal, das stand fest, sogar für ein kleines Bergdorf, und ich hatte vor, dem auf den Grund zu gehen.
    Aber dann, am Kirchentor, war alles anders gekommen, weil ich plötzlich nicht nur Zuschauerin, sondern auch Beobachtete war, eine Rolle, die mir keineswegs gefiel.
    Der Schnüffler lehnte am Grabstein von Franz Berger (natürlich, wo sonst!), als ich mich der Kirche näherte. Dabei war ich mir sicher gewesen, ihn mit meinem Auftritt vom vergangenen Abend zumindest für heute abgehängt zu haben. Er sagte nichts und machte keinen Versuch, mit mir Kontakt aufzunehmen, aber er behielt mich voll im Visier. Sein breitkrempiger Hut warf einen Schatten auf sein Gesicht, daher war es unmöglich
zu sagen, wie er dreinschaute, dennoch war ich mir sicher, dass er verschlagen lächelte.
    Ich ignorierte ihn, so gut es ging, fand es allerdings schwierig, unter so unverschämter Aufsicht meinen Spionageposten an der Tür einzunehmen. Gesang und Orgelmusik von drinnen bewiesen mir, dass tatsächlich die meisten der Einwohner versammelt sein mussten, weshalb ich auch nicht bereit war, kampflos das Feld zu räumen. Das hier war mein Revier, meine Story, meine W.-Geschichte!
    Mit demonstrativer Gleichgültigkeit stellte ich mich gegenüber dem Kirchentor auf und wartete das Ende der Messe ab. Etwa zehn Minuten vergingen, in denen sich weder der Schnüffler noch ich bewegten, eine Szene, bei der nur noch die Ennio-Morricone-Musik fehlte.
    Endlich

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