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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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dass es genau diese Rune ist, die ich nehmen muss. Es ist ähnlich wie bei meinem Weg durchs Gebüsch, ich weiß die Richtung.
    Frau Wurd wirft nur einen kurzen Blick darauf und nickt mehrmals.
    »Diese Rune nennt sich Uruz, der Auerochse. Er repräsentiert die ungezähmte, wilde Kraft des Schaffens. Große Taten liegen vor dir. Es kann sein, dass du etwas opfern musst, um etwas Besseres zu erhalten. Hindernisse müssen überwunden, Verbündete gewonnen, Feinde geschlagen werden. Um an dein Ziel zu gelangen, wirst du durch das reinigende Feuer gehen müssen, in dem du dich selbst erkennst. Aber nimm dich vor deinen eigenen Schwächen in Acht, andere könnten sie ausnützen!«
    Während dieser Worte höre ich ein Geräusch, das immer lauter und lauter wird. Ein Geräusch, das ich absolut nicht einordnen kann. Es klingt wie ein rhythmisches Hämmern oder auch wie das Trampeln starker, riesiger Hufe auf …
    Ich schreie laut auf. Ein gewaltiges, behaartes, schwarzes Tier mit nach innen gebogenen weißen Hörnern jagt mitten aus dem Kaminfeuer auf mich zu. Der Auerochse, denke ich, ich werde gerade im Inneren einer Waldhütte von einem Auerochsen zertrampelt!

    »Frau Wurd«, schreie ich, »tun Sie was!« Doch die Hexe scheint in Trance zu sein. Ich höre ganz nahe das Schnauben des Tieres durch seine enormen Nüstern, ich rieche Erde, schweißnasses Fell und noch etwas Undefinierbares, etwas Älteres , denke ich, während ich, wie durch ein umgedrehtes Fernrohr, diese Urgewalt auf mich zustürmen sehe. Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und krümme mich zusammen. Das Trampeln ist nun ganz nahe, das Geräusch dröhnt in meinen Ohren, entsetzt warte ich auf das unvermeidliche Ende, zu geschockt, um mich bewegen zu können. In das donnernde Getrampel mischt sich ein tiefes Grunzen. Nah, zu nah! Etwas (ein Stück Fell!) streift mich am Hals, die Geräusche werden leiser, und Sekunden später ist wieder alles still im Hexenhaus.
    Ich richte mich auf und atme tief durch, mein Herz klopft wie wild.
    »Aber Frau Wurd, was bedeutet das alles? Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe …«
    »Die Runen raunen das, was war, was ist und was werden wird.«
    »Das ist mir klar. Aber was heißt es für mich?«
    Sie richtet ihren Knopfaugenblick auf mich. Ich bin mir nicht sicher, was ich darin erkenne. Weisheit? Schadenfreude? Mitgefühl?
    »Du wirst etwas verlieren und dafür etwas gewinnen. Doch es wird nicht leicht. Du musst ein Mal um die halbe Welt reisen, um zu bekommen, wonach dein Herz sich sehnt. Dunkle Zeiten liegen vor dir, Olivia. Ein Feuer brennt, wo du keines erwartest, und ein Sturm zieht auf. Der Weg ist beschwerlich, aber wenn du deine Energie bündelst und dir die Kraft des Auerochsen zunutze machst, dann kannst du dein Ziel erreichen.
Dein Schicksal liegt in deiner Hand. Du selbst bist es, die entscheidet. Das ist die Sprache der Runen, sie werfen ein Licht, doch sehen musst du selbst.
    »Und … Und gibt es nichts, das mir dabei helfen kann?«
    »Was du brauchst, trägst du bei dir. Doch ich will dir etwas mitgeben.«
    Sie greift nach einem Holzstäbchen, das ganz oben auf dem Haufen liegt und wie ein F mit schiefen Querbalken aussieht.
    »Befreie dich von deinen Ängsten, sei überzeugt von dir und tu, was du am besten kannst. Darin liegt der Schlüssel.«
    Sie nimmt meine rechte Hand, die ringlose, dreht den Handteller nach oben, legt das Holzstäbchen darauf und drückt anschließend meine Finger mit ihrer Hand zusammen. Ich betrachte erstaunt die Faust, die zu mir gehört und doch wieder nicht. Die Finger der Hexe sind trocken und warm, doch das ist nichts gegen die Hitze des Holzes, das in meiner Hand regelrecht zu glühen scheint. Es tut nicht weh, es ist ein fast angenehmes Gefühl, als wachse die Rune mit mir zusammen, fräße sich durch meine Haut und pulsierte in meinem Blut. Nicht wie ein Schmerz, sondern als Zusammenfügung von bisher getrennten, jedoch verwandten Teilen. Mir wird schwindelig, denn eine Bilderflut rast durch mein Hirn. Bunte Lichter blinken und leuchten hell, plötzlich erlöschen sie ohne Vorwarnung. Alles dreht sich, und dann tiefe Schwärze. Etwas rauscht, das Rauschen wird lauter und lauter, füllt meine Ohren, ist um mich herum, und ich kämpfe gegen den Impuls an, mir die Ohren zuzuhalten. Stattdessen stöhne ich, denn unter das Rauschen mischt sich deutlich ein anderer Ton, ein vertrauter, bedrohlicher, Gänsehaut verursachender Laut: ein Wolfsheulen. Und dann Stille.

    Als

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