Jagdzeit
kümmert! Die Jäger hier interessieren sich nur begrenzt für den Wald. Sie haben ganz andere Aufgaben.«
»Zum Beispiel?«
Es klappte nicht. Der Unterberger hob abwehrend eine Hand.
»Das sind nicht meine Angelegenheiten. Ich mische mich
nicht in die Geschäfte der Jäger ein, dafür stellen sie keine Fragen zu den Käfigen. So funktioniert das hier in den Bergen, Herr Alt.«
Es war Zeit, das eigentliche Anliegen vorzubringen. Adrian hatte nicht das Bedürfnis, sich mit sprechenden Waldtieren zu befassen, da es um Sarah und den Herzstein ging. Was auch immer dieser seltsame Wald beherbergte, es hatte nichts mit seinem Auftrag zu tun.
»Herr Unterberger, das ist alles höchst interessant. Aber der Grund für meinen Besuch ist eigentlich ein anderer. Sie haben mit Mimmer an der Ortschronik gearbeitet. Ich war im Museum, dort gibt es ein Exemplar, doch ich bin mir sicher, dass es nicht vollständig ist. In der Biografie, die ich gelesen habe, wird erwähnt, Mimmer habe in einem Kapitel über Dinge geschrieben, die nie an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Erklärungen, warum die Menschen hier so alt werden. Warum Kinder sterben. Ist es nicht auch so, dass Menschen wie Mimmer, Menschen, die zu viel wissen, in Ihrem Dorf gerne bei tragischen Unfällen ums Leben kommen? Haben Sie davor Angst, Herr Unterberger? Schweigen Sie deshalb?«
Die Ungeduld war wieder einmal mit ihm durchgegangen. Adrian hatte sich in seiner Hast zu weit vorgewagt. Er biss sich auf die Lippen.
»Es ist besser«, sagte der Unterberger leise, »wenn Sie jetzt gehen.«
Ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass er von dieser Meinung nicht abweichen würde, hatte er Adrian die Treppe hinunter bis zur Tür begleitet. Er stand an der Schwelle inmitten seiner absurden Zwergenkollektion und sah Adrian nicht in die Augen, sondern schräg an seiner Wange vorbei.
»Eine Sache noch. Seien Sie vorsichtig, was Sie essen und trinken, solange Sie sich innerhalb der Ortsgrenzen befinden. Die Dorfgemeinschaft hat so ihre Methoden, gegen Fremde vorzugehen, die sich zu sehr für die lokale Geschichte interessieren. Auch die Einheimischen werden nicht geschont. Der Gendarm und Mimmer, zum Beispiel.«
Adrian wollte etwas fragen, doch der Unterberger hob die Hand.
»Keine Fragen mehr. Es wäre besser für Sie, das Weite zu suchen, ehe die Wolfsjagd beginnt.«
Mit diesen Worten und einem letzten vagen Nicken hatte der Unterberger die Tür geschlossen und war, den knarrenden Schritten aus dem Inneren nach zu urteilen, wieder ins Obergeschoss gestiegen, um seine Gefangenen zum Sprechen zu bringen, oder so ähnlich.
Ja, dachte Adrian, der Unterberger hatte Angst. Doch er war auch überzeugt davon, dass der Mann reden wollte, zu lange trug er das Wissen bereits mit sich herum. Es ging nur darum, die richtige Methode zu finden, um die Informationen aus dem Kauzsammler herauszubekommen. Das war sein Metier, damit kannte Adrian sich aus. Die Frage war nur, ob die Zeit reichte. Sein Ende hier war schon greifbar nahe!
Aber selbst wenn es ihm gelang, blieb immer noch das Rätsel um den Gendarmen. Die Lösung lag womöglich auf der anderen Seite der Wand, die er immer noch anstarrte, als könnte er sie allein durch Willenskraft durchbrechen.
In diesem Moment hörte er ihre Zimmertür und die Stöckelschuhschritte auf der Treppe. Wo wollte sie um diese Zeit hin? Sicher Buttersemmeln essen, ihm zum Trotz! Er könnte
diese Gelegenheit nutzen und nebenan nach den Beweisen suchen. Sollte er es riskieren?
Olivia Kenning, sie polterte durch seine Gedanken mit ihrer grenzenlosen Selbstüberschätzung, ihrer kindischen Arroganz und ihrem fehlenden Feingefühl. Wenn sie könnte, würde sie wohl dem Oberteufel persönlich ins Gesicht spucken und ihn dann nach dem Weg nach Lourdes fragen.
Wütend fuhr er sich mit der Hand durch das feuchte Haar und löste sich von der Badezimmertür. Fröstelnd zog er sich das an, was fein säuberlich auf der unbenutzten Doppelbettseite vorbereitet lag. Pedanterie des ewigen Junggesellen. Hektisch knöpfte er das Hemd zu und überlegte sich, wie er weiter vorgehen sollte. Wenn nur sie ihm nicht immer in die Quere käme!
Fester als nötig zog er an seinem Gürtel. Es war ihm ein Rätsel, wie es möglich war, dass sie trotzdem mehr hörte und sah, als gut für sie war. Auf ihn machte sie nicht den Eindruck einer guten Beobachterin, dazu war sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Saßen die Haare gut, warf die Hose keine Falten an
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