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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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schon die Sonne, eh?«
    Ich blinzle verwirrt. Das Bild verändert sich nicht. Kein vager Rest eines Traumes, den man wegwischt, bevor man endgültig
erwacht, auch keine sonderbare Maserung einer hölzernen Zimmerdecke, die eine optische Täuschung verursacht. Nichts als Wald über und, eine brauchbare Erklärung für die Rückenschmerzen, unter mir.
    Aber was soll der Unsinn? Mein gesamtes bisheriges Leben habe ich damit verbracht, jede Form von NATUR sorgfältig aus meinem zivilisierten Großstadtleben zu verbannen. Das höchste der Gefühle ist ein Picknick im Stadtpark, aber auch das nur, wenn der Boden vorher gründlich auf Ameisen, Käfer, Würmer und sonstiges Getier untersucht worden ist und sich eine öffentliche Toilette in Sichtweite befindet.
    Umso schlimmer trifft mich die Erkenntnis, dass ich, bekennende Zivilisationsfanatikerin, wie es scheint, IN DER NATUR übernachtet habe und mich immer noch IN DER NATUR befinde, während weiß Gott was für Gekreuche und Gefleuche um mich herum stattgefunden hat. Im Kopfkino sehe ich Ratten mit spitzen Zähnen, fette, fleischige Käfer, langbeinige Kreuzspinnen, sich lautlos windende Schlangen, flatternde Falter, womöglich Fledermäuse, Eulen, Füchse, Marder, Wölfe … Wölfe!
    Mit einem erstickten Schrei setze ich mich auf, was sich als schwierig und schmerzhaft erweist, weil mein gesamter Rücken stocksteif ist von der Unterlage aus Wurzeln, die mir offensichtlich (Du lieber Himmel, du lieber Himmel!) als Matratze gedient haben. Ich stöhne. Da ist sie wieder, die Erinnerung an ein neongraues Auge im Dunkel. Der Waldrand, natürlich, ich muss umgekippt sein. Aber was, um Gottes willen, mache ich dann hier, mitten IM WALD? Und da es zwar dämmrig, aber offensichtlich Tag ist, bedeutet das, dass ich die ganze Nacht völlig ungeschützt in dieser äußerst unbequemen Lage verbracht habe? Hilfe! HILFE!

    Logik ist in solchen Fällen immer sinnvoll. Wahrscheinlich bin ich nicht einfach so am Waldrand umgekippt, sondern in blinder Panik auf der Flucht ein Stück weit in den Wald gelaufen, ehe es schwarz wurde. Genau. So muss es gewesen sein. Und der Wolf? Nun, ich bin sicher, da war gar kein Wolf, das Auge kann auch einer herumstreunenden Katze oder im schlimmsten Fall einem Luchs gehört haben. Der verrückte Wirt hat mich schlicht und einfach völlig wahnsinnig gemacht mit seinen Wildtierstorys. Wolfsjagd, so ein Unsinn! Es geschieht einem recht, wenn man diesem Altweibergewäsch beziehungsweise Altherrenwirtshaustratsch glaubt. Ein Wolf im Dorfwäldchen. Ha!
    Mit laut knackenden Gelenken und einer Menge Muskelaufwand schaffe ich es, auf die Beine zu kommen. Ich drehe mich zur Orientierung einmal um die eigene Achse. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Weit kann der Waldrand nicht sein, bestimmt habe ich (bei meiner Kondition) schon nach zehn, maximal fünfzehn Metern alle viere von mir gestreckt. Daher, denke ich, müssen irgendwo zwischen den Baumstämmen Häuser zu sehen sein. Unschlüssig starre ich mal in die eine, mal in die andere Richtung. Na ja, wenigstens heller muss es dort sein, wo der Waldrand ist. Ein kleines bisschen heller. Ein klitzekleines …
    Nein, eindeutig überall gleich dunkel, gleich begrünt, gleich bewaldet. Zögernd mache ich ein paar Schritte auf die nächststehende Birke zu (irgendwo muss man schließlich anfangen), mit dem Erfolg, dass ich mich augenblicklich wieder in Bodennähe befinde, weil ich mit dem Absatz meiner Pumps an einer Wurzel hängen geblieben bin. Ein Klassiker, aber immer wieder zuverlässig, wie die gute, alte Bananenschale. Grandios, jetzt
habe ich auch noch einen zehn Zentimeter langen Riss in meiner besten schwarzen Hose. Und mein ohnehin schwaches Knie, auf das ich mit vollem (also enormem) Gewicht gefallen bin, schreit nach Voltaren, das ich natürlich wieder einmal nicht eingesteckt habe. Verfluchte hohe Absätze, verfluchte Pumps. Ja, hätte ich mir die Stiefeletten auf dem Friedhof nicht so komplett versaut, dann sähe die Sache zumindest schuhwerktechnisch etwas rosiger aus.
    Sofort ist die Wut auf den Schnüffler wieder da, ihm allein habe ich es zu verdanken, dass ich hier, mitten IN DER NATUR sitze, ohne Bett, ohne Dusche, ohne Klo (was problematisch werden könnte) und vor allem OHNE PLAN! Denn so wie die Dorfmeute gestern Abend hinter mir her war, kann ich nicht einfach wieder ins beschauliche Kaff zurückspazieren und bin in der Wildnis sozusagen gestrandet.
    Aaaaaaah, ich will hier raus!
    Okay, nur

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