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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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Allein der Geruch von Federn macht mich krank, weshalb ich schon vor langer Zeit meine Daunenbettwäsche und meine Daunenjacken entsorgt habe.
    Immer noch flach atmend, krame ich in meiner Handtasche, auf der Suche nach irgendeinem Hustenbonbon oder Tic Tac, das den bitteren Geschmack auf meiner Zunge vertreibt, den das Federvieh erzeugt hat. Aber natürlich werde ich nicht fündig in dem minimalistischen Abendtäschchen. Herrje! Deprimiert betrachte ich meine derzeitige Survival-Ausrüstung:
    • eine Geldbörse mit fünfzig Euro, Bankomatkarte, Kreditkarte, Bipa-Kundenkarte, Body-Shop-Bonuskarte, E-Card, Wagenpapiere, Führerschein, ÖAMTC-Mitgliedsausweis, ein Foto meiner Katze sowie diverse Kassenbons
    • ein Kugelschreiber
    • ein Mobilfunkgerät ohne Netz
    • eine Dose Kompaktpuder
    • ein transparenter Labello
    • ein Mini-Deospray
    • ein umfangreicher Schlüsselbund sowie ein Zimmerschlüssel
    • eine Packung Johanniskraut-Tabletten von dm
    • ein Döschen Süßstoff
    • ein Papiertaschentuch
    • ein halbes Stück Mohnkuchen, eingewickelt in eine Papierserviette
    Das war’s. So weit, so schlecht. Mit dieser Ausrüstung werde ich die nächsten Stunden (Tage?) im Wald überleben müssen.
    Wenn ich nur das verdammte Voltaren eingesteckt hätte, denke ich weinerlich. Warum, zum Teufel, habe ich nie einen
Kompass dabei? Warum kein Multifunktionstaschenmesser? Eine Taschenlampe oder wenigstens Streichhölzer? Nichtraucherschicksal!
    Das Gute an der Sache ist, dass ich angesichts der dramatischen Situation keinen Hunger habe. Für später gibt es immerhin den Mohnkuchen. Wenigstens ein bisschen Wegzehrung. Zuerst gilt es aber, einen Weg durch diesen Wald zu finden und/oder ein Handynetz. Unentschlossen drehe ich mich im Kreis. Wenn man keinen Kompass, kein GPS, kein Orientierungsvermögen und keinen blassen Schimmer von Himmelsrichtungen hat, dann ist es absolut legitim, in die Richtung zu gehen, die einem am sympathischsten ist.
    Erstes Kriterium: Abwärtsgefälle.
    Zweites Kriterium: So wenig Wurzelwerk wie möglich.
    Drittes Kriterium: Eigentlich völlig egal!
    Was ich mir jedoch aus literarischen Beispielen gemerkt habe, ist die Sache mit dem Ausgangspunkt. Um zu verhindern, dass man a. im Kreis läuft und b. immer tiefer in den Wald gerät, ist es klug, Markierungen zu setzen.
    Die nächsten fünf Minuten verbringe ich damit, den Inhalt meiner Handtasche erneut zu sondieren. Ich könnte das Taschentuch zerreißen und Kügelchen daraus formen. Andererseits weht bestimmt schon der leiseste Windhauch diese Kügelchen davon, und ich kann mich den restlichen Tag nicht mehr schnäuzen. PMS-bedingt könnte das problematisch werden, da ich derzeit ständig höchstens dreieinhalb Millimeter von der Tränengrenze entfernt bin. Markierungen mit Kugelschreiber auf Baumrinde anzubringen ist äußerst mühsam und kaum zu sehen. Den Mohnkuchen opfern kommt ebenfalls nicht infrage, zumal sich Lebensmittel schon bei Hänsel und Gretel als
denkbar ungeeignet für die Wegmarkierung herausgestellt haben (und außerdem Vögel anlocken könnten, was in meinem Fall keine gute Idee ist). Aus meiner Hundert-Prozent-Synthetikkleidung ließe sich nicht einmal dann ein Faden ziehen, wenn ich das wollte. Was also tun?
    Nachdenklich wiege ich das Süßstoffdöschen in der Hand. Nun ja, sie sind klein, aber sie werden wenigstens nicht verweht oder aufgefressen (bei so viel konzentrierter Chemie ein Ding der Unmöglichkeit!), und Weiß auf Waldboden müsste zu sehen sein. Versuchsweise lasse ich eine Süßstoffpille fallen. Ja, das könnte funktionieren.
    Auf diese Art bewaffnet, das Handy in einer Hand, den Blick auf die Netzanzeige auf dem Display gerichtet, das Döschen in der anderen Hand, um alle paar Schritte eine Pille fallen zu lassen, stelze ich äußerst vorsichtig über Steine, Astwerk und Wurzeln. Katastrophal fehlgeplante Bodenlegung, Herr Schöpfer!
    Eigentlich ist es ganz gut, denke ich, dass mich niemand beobachtet, denn ich bin mir durchaus bewusst, wie absurd ich mit meinen hohen Absätzen, dem Abendoutfit und einem hoch in die Luft gestreckten Mobiltelefon mitten in der abgelegensten Waldlandschaft aussehen muss. Wie ein Alien im Ziegenstall oder Bruce Springsteen auf dem Opernball. So ungefähr.
    Es ist wie verhext. Egal, wie lange ich wo durchs Unterholz pirsche, das Handy wie eine Antenne hoch in die Luft halte und alle erdenklichen Positionen ausprobiere, es tut sich absolut null Komma null. Ärgerlich

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