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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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Restauration mit nicht zu weit aufgeknöpftem Hemd und Männertool in der Hand – dem Tricoflex-Gartenschlauch, mit welchem er zuvor der Geste wegen seine hektargroßen Sukkulentenfelder gesprengt hatte. Man sah ihm an, dass die Pflanzen aufgrund der Anpassungsfähigkeit ihrer flüssigkeitsreichen Zellmatrix auch blendend ohne ihn zurechtgekommen wären. Die drei begegneten sich am Eingangsportal.
    Frank gab Gloria einen Kuss und Cecile die Hand. Cecile wusste nichts über die Familie ihres Vaters, abgesehen davon, dass er der Sohn eines Richters und dessen beim Kindernazifunk angestellter Frau war, die nach dem Krieg einer schweren Depression zum Opfer gefallen war, weil ihre kreativen, in die Propaganda gesteckten Energien fortan von Hausfrauentätigkeiten erstickt wurden. Er hatte zwei oder drei Brüder, die in selbstgebauten Waldhütten lebten oder nach Afrika ausgewandert waren, inzwischen eventuell auch tot, darüber wurde nicht gesprochen. Es gab ein einziges Kinderfoto von ihm inmitten seiner in die Kamera strahlenden Geschwister, auf dem er eine schwarze Babypuppe im Arm hält und sich das Weinen verkneift – jedoch keine von ihm jemals geäußerte Geschichte dazu. Inzwischen besaß er ein Sortiment für unterschiedlichste Lebenslagen geeigneter Anzüge. Cecile war übel.
    »Die Farbe von dem Hemd steht dir sehr gut!«, sagte sie, was anderes fiel ihr schlechterdings nicht ein.
    »Das ist keine Farbe«, antwortete ihr Vater.
    »Natürlich ist das ne Farbe, was denn sonst?«
    »Das ist Grau. Die dunkle Abstufung einer Mischung aus Schwarz und Weiß.«
     
    Das Haus hatte hundertzwanzig Zimmer, der Eingangsbereich ging über in ein riesiges, von Säulen gesäumtes Wintergartenkonzept mit vollständig hochfahrbarer Fensterfront. Er war eingerichtet nach den plausibelsten Standards einer mit Raffinesse gekoppelten großbürgerlichen Schlichtheit, also keine prollige Grandezza, keine Angeberei, nur subtile, gut angeordnete Elemente verschiedener Epochen, die aufs Genauste den hohen Grad an Wissen, Stilbewusstsein und Interesse am Nicht-Materiellen widerzuspiegeln hatten, den die Besitzer trotz ihres selbst erarbeiteten Reichtums aufrechtzuerhalten wussten – es war perfekt, es arbeitete sich »sympathisch« und »bescheiden« an allen existenten Codes zeitgenössischer Inneneinrichtungsmagazine ab, es war tot.
    Hier wurde nicht nur aufwendig geputzt, hier wurde so dermaßen aufwendig und strategisch geputzt, von einigen täglich einreitenden slowakischen Girls, dass nichts zu penibel wirkte.
    Gloria forderte Cecile auf, ihre Tasche nicht über den Holzboden zu rollen. Außerdem bat sie sie darum, im Haus nicht zu rauchen. Im linken Seitenflügel befand sich die Küche mit einem für dreißig Personen geeigneten Esstisch, irgendeiner authentischen italienischen Restaurantsituation nachempfunden, mit Soundanlage und leise rumdümpelnder Westcoastmusik aus den Siebzigern. Die oberen drei Stockwerke waren das Privatrefugium ihrer Eltern. Cecile wurde straight in den gegenüberliegenden, für Gäste vorgesehenen Seitenflügel geführt. Zwei Stockwerke die mit Teppich ausgelegten, breiten Stufen hinauf. An Türen vorbei, von denen einige offen standen und die zu weiteren Fluren führten, von denen noch mehr Zimmer abgingen, die alle leer zu sein schienen. Sie kamen ins Obergeschoss, und Gloria öffnete die Tür zu einem Raum, englische Stofftapeten und eine dazu passende Tagesdecke auf dem Queen-Size-Bett, heruntergelassene Rollläden, ein davon abgehendes Badezimmer mit Miniaturausgaben aller erdenklichen Haarshampoos. Es war nichts anderes als eine Hotelsuite. Cecile stellte ihre Tasche ab, setzte sich aufs Bett und fragte: »Wozu braucht ihr beide so viel Platz?«
    Und Gloria antwortete, unglaubwürdiger denn je: »Man gewöhnt sich sehr, sehr schnell daran. Schlaf gut.«
    Dann verließ sie das Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
    Es war ein Uhr mittags. Cecile zwang sich zum Einschlafen. Sie schlief extrem fest und träumte in Schwarzweiß von mehreren Alligatoren, die den Rüssel eines Elefanten abrissen und zerfleischten. Als sie aufwachte, ließ sie die Augen geschlossen. Sie wollte sich kratzen und führte die Hand an ihre Stirn, spürte jedoch keine Berührung. Sie öffnete die Augen und sah ihren Arm als nicht zu ihr gehöriges Stück Fleisch auf dem Bett liegen. Gleichzeitig spürte sie ihn angewinkelt in der Nähe ihres Kopfes. Sie konnte ihn bewegen und steuern, sie fühlte ihn, er hatte jedoch

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