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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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nichts zu tun mit ihrer Physiognomie. Sie kniff die Augen zusammen, konzentrierte sich auf die korrekte Position verschiedener Muskelstränge und spürte langsam, wie ihr Empfinden und das ihm zugeordnete Körperteil wieder zu einer Einheit wurden.
    Sie dachte an die drei Eisentore und an die Autobahn. An die Alarmanlagen und daran, dass es keine Möglichkeit gab, hier unbemerkt wegzukommen. Sie rauchte drei Kippen hintereinander. Als sie die Rollläden hochziehen wollte, zuckte sie zusammen vor Schreck über den damit einhergehenden Sound, der viel zu laut war in dieser der Lage der Villa geschuldeten Totenstille, sie öffnete das Fenster in der Hoffnung, unbemerkt lüften zu können, stattdessen blickte sie direkt in das Gesicht ihres Vaters, der gerade in Gartenmöbeln unter ihrem Fenster Platz nahm und sie aus hundert Metern Entfernung durchdringend anstarrte, in der für ihn sehr typischen Gleichzeitigkeit von Distanz, Akkuratheit, Verschärfung von Schreckensherrschaft und Traurigkeit. In seinem Gesicht konnte sie keinen Ansatz einer Ähnlichkeit zu sich selbst feststellen. Cecile nickte ihm hastig zu, sprang dann vom Fenster weg und schämte sich für die Durchschaubarkeit ihrer Unsicherheit. Draußen wurde es langsam dunkel. Sie bekam eine SMS ihrer Mutter, in der stand, dass es innerhalb der nächsten halben Stunde Essen gebe. Es folgte eine zweite SMS mit der detaillierten Wegbeschreibung zum Esszimmer. Cecile gab das Signal. Die Geschworenen rannten herbei. Den Eltern wurden geladene Knarren vorgehalten, man schoss auf den Vater, der über dem von Metalltigern gestemmten Gartentisch zusammenbrach und in eine unbestimmte Richtung wegzurobben versuchte. Eine zweite Kugel traf ihn in den Hinterkopf, und er fiel in sich zusammen, während seine Frau 300 Meter Luftlinie entfernt von zwei goldgeätzten Wikingerdolchen durchbohrt in die Knie sank. Die beiden vergaben Cecile weder ihre ungerechte Verachtung noch die immer größer gewordene Schamlosigkeit, gestanden sich gleichzeitig jedoch ein, dass sie sie nie zu ihrer Tochter hätten machen können.

 
     
    8
     
    Zwanzig Minuten später saß die Family am gedeckten Abendbrottisch. Cecile mit dem Rücken zu dem an der Wand angebrachten zwei mal vier Meter großen Gemälde eines schwarzen Rechtecks. Es gab Aubergine und Salat. Ceciles Vater, der aus Gründen eines momentan grassierenden Lebensmittelvirus die Aubergine verweigerte, hatte ihr einige Jahre zuvor die Besonderheit dieses Kunstwerks erklärt: die nicht mit dem Quadrat der Leinwand übereinstimmende Entscheidung, das schwarze, zu porträtierende Quadrat nicht parallel zur Begrenzung des als Untergrund funktionierenden anderen Quadrats, also der Leinwand, anzulegen. Die Ecke rechts oben war schief, deshalb hatte der Scheiß einen momentanen Verkaufswert im fünfstelligen Bereich und hing da jetzt so rum. Frank und Gloria redeten über ihren Hausmeister Jacques und dessen neue Camouflagehose. Jacques kümmerte sich um den Garten und um die Hunde oder fuhr manchmal in Baumärkte und hatte auch die Alarmanlage installiert. Er war von den beiden von einer dreimonatigen Recherchereise in Buenos Aires mitgebracht worden, wo er als Teil einer freien zeitgenössischen Tanzcompagnie rumgeloost hatte. Frank hatte ihn bei einer Automobilmesse kennengelernt und gefragt, ob er nicht Lust habe, sein Leben zu ändern. Jacques hatte sich daraufhin in Gloria verknallt und war deshalb, ohne zu zögern und überhaupt Deutsch zu können, in den zu einem Bungalow umgebauten ehemaligen Stall auf dem Grundstück gezogen. Ab und zu lagen merkwürdige, von ihm installierte Objekte und Skulpturen im Garten rum – ein aus Stein nachgebauter Kuhmagenquerschnitt zum Beispiel, von Gloria und Frank gönnerhaft toleriert. Cecile, in der müden Solidarität zu von ihren Eltern verachteten Individuen, wollte diesen Kunstgewerbequatsch gerne interessanter finden als das Quadratgemälde hinter sich, aber das war schlechterdings nicht möglich. Jacques, dieser talentfreie Bauernsohn mit seinen groben, verzweifelt-freundlichen Zügen, nahm gerade alleine auf seiner Terrasse ein Fertiggericht zu sich. Cecile konnte durchs Fenster in weiter Ferne seinen Rücken sehen, während Gloria und Frank beschlossen, ihn seine neue Camouflagehose nicht außerhalb des Grundstückes tragen zu lassen. Es gehe auf gar keinen Fall klar, dass er beim Hundespaziergang in der Öffentlichkeit mit militärischer Tarnkleidung gesehen würde. Danach unterhielten

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