Jage zwei Tiger
Faultier ganze zwei Minuten lang eine grüne Bohne isst und der Tierpfleger den Grund dafür erklärt. Als er sie fragte, was sie so mache, log Cecile genüsslich, dass sie eigentlich aus Berlin komme und dort eine Ausbildung zur Zahntechnikerin absolviere, irgendwie kam ihr das plausibel vor. Der Typ antwortete, dass er ein einziges Mal in Berlin gewesen sei, weil er sich so für das alte Ägypten interessierte und unbedingt die Nofretete hätte angucken wollen, in diesem Pergamonmuseum. »Aber das war nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe. Ich hatte mehr an so was, keine Ahnung, Zersplittertes gedacht, und die sah aus wie ausm Laden, nagelneu.« – »Das ist ja furchtbar.« – »Ja. Vielleicht war die auch gar nicht echt.« – »Wie meinst du das?« – »Weiß nicht, kann ja sein, dass die einen verarschen und das aus irgendeiner verbogenen Coladose rekonstruiert haben oder so.«
Nach ihrer Entjungferung hörte Cecile stundenlang nicht auf zu bluten. Die größte Qual bestand darin, auf die Frage ihrer Zimmergenossin, was das da für ein durch ihre Jeans sickernder roter Fleck sei, irgendwas von einer Currywurstschale zu erzählen, in die sie sich versehentlich reingesetzt hätte. Eine Woche lang konnte Cecile nicht mal das Video kopulierender Schnecken im Biologieunterricht ertragen, ohne von einer schwerstunangenehmen Gänsehaut erfasst zu werden. Trotzdem, sie überstand den ganzen Quatsch natürlich, ihm war nämlich eine bewusst getroffene Entscheidung vorausgegangen. Sie fing an zu rauchen, alleine, hinter dem Spielgeräteschuppen der Grundschüler. Sie wollte diverse Initiationsriten abgearbeitet haben, bevor ihr irgendein frühreifer Meinungsführer aus einer höheren Stufe die erste Zigarette anbieten würde, in circa sechs Monaten, auf der zehntägigen Studienfahrt des Norwegischkurses zur Ostsee. Sie fing an, Punk zu hören, Feinrippunterhemden zu zerschneiden und sie dann mit Anarchie- und »Kampf dem Kapitalismus«-Bekundungen zu bemalen, rasierte sich ein Stück ihrer Haare aus und arbeitete kontinuierlich auf einen Schulrauswurf hin. Im Bewusstsein, zu sensibel zu sein, um irgendeine notwendige Erfahrung von Gleichaltrigen abhängig machen zu können, von diesen um sie herumrennenden, hedonistischen, bereits mit elf zu verwesen beginnenden Kids, denen sie misstrauen musste, weil man seiner eigenen Generation nur misstrauen kann, wurde ihre geistig verwirrte Klarheit zum Hauptquartier einer Verschwörung. Man würde sie irgendwann, wie nennt man das, mobben wahrscheinlich, sie wusste das, sie war von vornherein alleine gewesen, doch um keinen Preis wollte sie ihr Handeln den gewöhnlichen Standards unterwerfen, wie ein Teenagerleben auszusehen hatte. Es ging gleichermaßen um ihre Dunkelheit und ihre Begeisterungsfähigkeit. Um eine mächtige, von der Rippengegend ausgehende Kraft, die die Schulterblätter so schmerzhaft zusammenzog, als würden einem Flügel wachsen. Man kann sich dann unauffällig und interesselos durch eine Masse bleigrauer Freizeitangebote kämpfen, seine Eltern ermorden oder Musik hören. Letzteres ist irgendwie okay, solange man währenddessen zufällig mit psychedelischem Garagerock konfrontiert wird. Ganz wichtig in dem Zusammenhang: der Song »Suzy Creamcheese« von der Band Teddy and His Patches, 1966 gegründet in der drittgrößten Stadt Kaliforniens von einem sogenannten Jugendlichen. Der hieß logischerweise Teddy, hatte logischerweise als Kind ein Auge verloren und lief deshalb logischerweise mit einer Augenklappe rum. Dieser Typ und drei Freunde begannen parallel zu vielen anderen Menschen an der amerikanischen Westküste, R&B -beeinflussten Garagerock auf der Basis britischer Bands wie der Yardbirds und der Animals und so gar Donovan zu spielen. Die Songs funktionieren in ihrer strukturierten Wildheit nahezu entgegengesetzt zu ihren Vorbildern, »Suzy Creamcheese« beginnt beispielsweise mit so einer Art unheimlichem Rumgeklimpere auf einer Orgel, welches in die gesprochene Warnung übergeht, dass die Stimme deines eigenen Unterbewusstseins von nun an mit dir kommunizieren wird. Das macht schon mal großen Spaß. Danach die Frage:»Suzy, what’s got into you?«, auf die eine monotone Raserei folgt, einer Mischung aus Teenie- und Punkherzen entströmend, in der man sich als exzentrischer Mensch egal welchen Alters sehr zu Hause fühlt. Am Ende verlangsamt sich der Song in einem leicht dementen Festival-Stil, der an die »frühen Doors« (O Gott,
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