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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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ist ein Gramm, zwar nicht ganz, aber das wiegt ja niemand, ähm, hundertfünfzig.«
    »Seid ihr völlig durchgeballert?«
    »Ich hab dieser Irina irgendwann mal sehr eloquent, in dem Commes-des-Garçons-Anzug, den Mike für dich geklaut hat, tomboymäßig zurechtgemacht mit ner Attitüde, als stünde ich auf sehr viel ältere Frauuen, darauf fuhr sie total ab, jedenfalls erzählte ich ihr, Arams Cousinen hätten es als Maulwurf aus Kolumbien geschmuggelt. Und es sei von nem befreundeten Apotheker auf absolute Reinheit getestet worden, das hab ich auch erzählt. Dabei ist es nur derselbe Scheiß, den alle verticken.«
    »Und warum hat sie’s dir geglaubt?«
    »Fraul’s ihr letztlich egal ist. So wie all den anderen auch. Lass dir das gesagt sein. Fraul sie ne Grenze überschritten haben, hinter der es in einer undefinierbaren ›I could buy the whole world‹-Manier nur noch um Placebo-Effekte geht. Kommst du jetzt mit irgendeinem Schlechtes-Gewissen-Bullshit? Wir tun nix Falsches. Die wollen das. Die wollen verarscht werden, während wir verarschen wollen, und Hummer essen natürlich, das wollen wir auch.«
    »Genauso gut könnten wir uns seufzend auf Treppenabsätzen wälzen und ›Geben Sie uns doch das Geld, Sie haben doch so viel davon!‹ schreien, aber das wär weniger produktiv. Hab ich recht?«
    Julia antwortete nicht, und Cecile hakte nach.
    »Hab ich das nicht schon wieder messerscharf kombiniert? Komm, say yes, say yes.«
    »Yes, ich glaube, du hast recht, wenn ich ehrlich bin.«
    »Never say sorry.«
    »Exactly, mein Schatz.«
    »Sollten wir uns die Hummer eventuell einpacken lassen? Als Andenken?«
     
    Alle lachten, standen auf und gingen raus. Es war kurz nach acht, sie liefen durch Venedig, als wären sie dort aufgewachsen, durch diese bläuliche Stimmung zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit. »Wisst ihr, was geil ist? Dass während des Sonnenuntergangs der kurzwellige blaue Anteil des Lichts, also auf dem langen Weg durch die Erdatmosphäre, einfach rausgestreut wird. Zwanzig Minuten lang, jeden Abend, ist der Himmel nur noch das, was auf dem Weg zu uns rausgestreut wurde.«
    »Aber müsste der Himmel dann nicht einfach schwarz sein statt blau?«
    »Keine Ahnung, hat was mit Ozon zu tun.«
    Irgendwann fragte Cecile, ob sie sich jetzt nicht alle einfach am Canal Grande mit Chianti betrinken könnten, woraufhin Aram und Julia antworteten, dass sie das zwar konsequent bis enorm sexy fänden, aber die Arbeit rufe, und dann zitierte Julia noch den von ihr als Vollidiot bezeichneten Graham Greene, der jedoch so fucking right gewesen sei, als er einst schrieb, der Liebende gehe durch die Welt wie ein Anarchist: »Er trägt eine Zeitbombe mit sich.«
    »Mon Dieu«, sagte Aram.
    »Mein Gott«, wiederholte Cecile auf Deutsch und musste grundlos an einen alten Typen denken, der ihr kurz nach ihrem achten Geburtstag mal auf dem Fußweg zur Grundschule entgegengekommen war und gesagt hatte: »Du kannst mich Opa nennen, wenn mal Not am Mann ist.« Danach hatte er erzählt, wie er und seine sechs Brüder, von denen vier während des Kriegs in U- Booten abgesoffen oder in Gefangenschaft verschollen seien, Frauhnachten 1931 kleine, aus Schokozigaretten gebastelte Panzer geschenkt gekriegt hätten.
     
    Zwanzig Minuten später lief Cecile durch eine schmale Gasse, die zum Meer führte, auf die Seitentür eines Hotels zu. Links dahinter der Fraual, rechts die barock-theatralisch inszenierte Fassade einer Kirche. Von weitem sah sie mehrere in einer Schlange wartende Wassertaxis am Anlegesteg des Hotels, der in eine Terrasse überging und von zwei Security-Schränken bewacht wurde. Die Frauuen auf den Bötchen trugen Monochromversionen guter Partykleider, die Männer ausnahmslos weiße Hemden. Die Hälfte von ihnen war dazu in der Lage, aus ihren Taschen eine Einladung plus mit dem Namen auf der Einladung übereinstimmende Personalausweise hervorzuziehen, die anderen wurden wieder weggeschickt. Cecile hörte das Echo ihrer eigenen Schritte und sah den Türsteher am Seiteneingang. Ein Gast, der wild gestikulierend telefonierte, bat ihn zwischendurch um eine Zigarette. Er reichte sie ihm, hatte aber kein Feuerzeug. In diesem Moment erfasste Cecile ein Augenblick der Unsicherheit, ihre Beine versagten kurz, und sie musste sich an die Steinmauer lehnen, um nicht zu stürzen. Sie sah auf der Terrasse den vielen kleinen weißen Rechtecken dabei zu, wie sie den zu ihnen gehörigen Girls aus den Motorbooten halfen, im

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