Jage zwei Tiger
Menschen zu Arschlöchern, es sorgte für einen Krieg zwischen zwei sich in jedem Wesen vereinigenden Fronten, aus dem nur die Zerfleischung der eigenen Seele hervorgehen konnte. Auf Schärfe folgen Nebelschwaden. Auf Gewissheit folgt die tödliche Furcht vor der Feststellung, dass Herzschläge keinen Sinn haben, und dieser nihilistische Kreislauf entwickelt sich zu einer Hysterie, die die Menschen nicht nur ihr komplettes Umfeld direkt mit zerfleischen, sondern das ganze Leben lang nur noch im Zustand einer absterbenden Hoffnung dahinvegetieren lässt, einer absterbenden Hoffnung auf etwas, das niemand zu benennen weiss.
Kokainsucht ist Harakiri.
Cecile sah einen dramatisch grauen Himmel und Kinder vor sich, die ihre Eltern beim Nachhausekommen apathisch am Küchentisch vorfanden, die Köpfe auf die verschränkten Arme gesunken. Sie sah die Nervenschäden der Säuglinge, deren Mütter während der Schwangerschaft einfach weitergemacht hatten. Sie sah all die Hochstapler und die Sadisten. Und als Irina sie fragte, ob sie die zweite Line wolle, sprach sie einen Satz aus, der, sobald sie ihn geäußert hatte, ein feststehender Entschluss war.
»Ich nehme keine Drogen.«
Irina lachte, fast ein bisschen stolz, stand auf und streichelte ihr das Gesicht.
Als sie wieder draußen waren, setzte sich Cecile auf ein Sofa zwischen der Bar und dem Eingang, hielt ihr Handy ans Ohr und tat so, als würde sie telefonieren. Irgendwann fing sie ein Gespräch mit einem kleinen unbeholfenen Frauißigjährigen an, der von irgendeiner Firma erzählte.
»Und was genau machen Sie da jetzt, in dieser … Firma?«
»Na ja, also, ich bin der Chef.«
»Immerhin.«
Stille.
»Und was macht diese … Firma?«
»Im weitesten Sinne?«
»Ja.«
»Das Internet. Uninteressant.«
Von weitem sah sie in regelmäßigen Abständen Leute auf Irina zukommen, die ihr nach kurzem Smalltalk etwas ins Ohr flüsterten, woraufhin Irina sich zu Cecile drehte und ihr zuwinkte. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie die Hälfte des Zeugs verkauft und ein Hermèstuch am Hals, das ihr ein Mann umgelegt hatte, der das am nächsten Morgen bitterlich bereuen würde. Wenn die Leute nach dem Koksen vom Klo zurückkamen, war ihre Haltung eine komplett andere, was sehr interessant zu beobachten war. Und während sich die gerade Linie endgültig auflöste, in die Festigkeit der Zusammenkunft verzweifelter Individuen eine bewusst herbeigeführte unheilvolle Vibration einbrach, verließ Cecile die Terrasse durch den Eingang, durch den sie gekommen war. Sie fühlte sich gottähnlich, inzwischen also wirklich fast wie Rita Hayworth, und fragte den unverändert dort stehen gebliebenen Securitytypen, der sie reingelassen hatte, auf Englisch nach seinem Namen. »Smiley«, sagte er, sie gab ihm die Hand, und er lächelte. Am Himmel zuckten ungeordnete Sternenbündel auf, Feilstaub, wie von einem einzigen Hauch auseinandergetriebenes Platin. Und als würde sie spüren, dass etwas auf sie wartete, so was wie die Aufforderung, eine neue Richtung einzuschlagen in ihrem Leben, beschloss Cecile, nicht direkt nach Hause, sondern noch eine Runde über den Markusplatz am Haupteingang des Hotels vorbei zu gehen. Sie fror und war viel zu dünn angezogen, was ihr egal war, und als sie an der anderen Seite des Gebäudes an der großen, teilweise vergoldeten Glastür vorbeikam, vor der die Kunststudenten gerade mit animalischem Rumgehüpfe rauszufinden versuchten, wer mit wem nach Hause gehen würde, zwanzig Minuten später würde einer von ihnen bereits seinem Kommilitonen den Finger abgebissen haben, musste Cecile stehen bleiben, weil sie jemanden sah, der bedeutender zu sein schien als alle anderen. Neben einem jungen südländischen Typen in Multifunktionskleidung, Kapuze auf, zwei Handys in der Hand, lief eine alte Dame mit Gehstock auf das Hotel zu. Sie trug ein beiges Altfrauenkostüm. Um ihre Haare war ein kariertes Tuch geschlungen. Sie zog ein Bein nach, während das andere, einwandfrei und als würde es normalerweise Strumpfhosenwerbung machen, in einem Louboutinschuh über die Pflastersteine klackerte. Die Erscheinung war nicht plausibel, etwas stimmte nicht, außerdem trug sie eine Sonnenbrille, und ihr buckliger Rücken sah aus, als könne sie ihn jederzeit durchdrücken. Die anderen vor der Tür waren zu betrunken oder zu unaufmerksam, um zu realisieren, wer sich ihnen da näherte. Hinter der Frauu und ihrem Begleiter lief in einem Meter Abstand ein Mann, der nur ihr
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