Jage zwei Tiger
hundert Gramm in kleinen, aus Papier gefalteten Umschlägen verpackte Einzelportionen schlechten Kokains, das die Spiegelung ihrer Sehnsucht nach Fassungslosigkeit, Panik und Kontrollverlust war. Irina erblickte Cecile, während diese gerade auf sie zulief. Fraure Augen klebten einen Moment zu lang an ihr, dann wandte sie sich jedoch wieder ihren Gesprächspartnerinnen zu. Cecile stellte sich hinter sie, und als Irina sich umdrehte, haute sie lächelnd das mit Julia vereinbarte Codewort raus, welches ihr so unangenehm war auszusprechen, dass wir es an dieser Stelle kein zweites Mal wiederholen brauchen.
Irina strahlte, umarmte sie, drückte ihr links und rechts Küsse auf die Wange und kriegte es sehr unangestrengt hin, so viele Leute zwischen sie und ihre bisherige Gesprächspartnerin drängen zu lassen, dass sie sich nicht mehr auf die beziehen musste. Sie fragte Cecile, was sie trinken wolle, und Cecile tat so, als hätte sie die Frauge nicht gehört, woraufhin Irina sie an der Hand nahm und durch eine Gruppe hysterischer, von irgendeinem Professor als Entourage mitgebrachter Kunststudenten nach drinnen zog. Hand in Hand liefen sie durch eine wirklich geile mit Marmor verkleidete Halle auf den Toilettenbereich zu, an vielen Menschen vorbei, die Irina fast alle zu kennen schien, und zwischendurch kicherte sie und sah dabei trotz ihrer endlos langen Haare wirklich aus wie ein kleiner Junge, der sich gerade eigentlich lieber mit Nanotechnologie beschäftigen würde, was Cecile sehr sympathisch fand.
Sie gingen an einer Gruppe alter Männer vorbei. Sie wirkten, als würden sie sich gerade entweder über Milliardendeals oder den Auftragsmord an einem Konkurrenten austauschen, stattdessen redeten sie über Küchen. Über verstellbare Gitterböden, Aluminiumrahmentüren und die pflegeleichtesten Oberflächen. Als sie sich bereits einige Meter von ihnen entfernt hatten, blieb Irina stehen, drehte sich zu ihnen um und deutete auf einen von ihnen. Sie erzählte, dass sie ihn bei der letzten Kunstbiennale zusammen mit mehreren anderen Männern im Kreis um eine Außeninstallation hatte herumstehen sehen. Die Installation war aus Skandinavien. Ein Swimmingpool, in dem bäuchlings eine menschenähnliche Plastikpuppe schwamm, genauso angezogen wie die Männer. Zuerst hatte sie gedacht, die Typen wären Teil des Kunstwerks, dann erklärte ihr jedoch jemand, dass es sich bei einem von ihnen, genau bei dem, der ihnen gerade gegenüberstand, um einen berüchtigten Mafiosi handelte. »So unfassbar dämlich kann man auch nur sein, wenn man zur Mafia gehört«, sagte Irina.
»Was meinst du damit?«
»Damit meine ich, dass man sein Geld nicht in Kunst und schon gar nicht in Kunst genannte Swimmingpools anlegt.«
Cecile dachte an ihren Elefanten.
Vor den Spiegeln des Waschraums, wieder Marmor, diesmal schwarz, zog sich Irina so lange ihre Lippen nach, bis sie sicher sein konnte, dass niemand mehr da war, der sie zusammen mit Cecile aufs Klo hätte verschwinden sehen können. In der Kabine holte sie Geld aus ihrem Schuh. Cecile holte fünf Umschläge aus ihrer kleinen Lederumhängetasche und merkte, dass sie zitterte. Irina gab ihr hundert Euro zu viel und bestand mit dem mehrmals hintereinander geäußerten Satz »Scheiß drauf« darauf, dass Cecile sie behielt. Dann sagte sie noch mal »Scheiß drauf« und öffnete einen der Umschläge. »Musst du nicht aufs Klo?«, fragte sie Cecile lächelnd. Cecile deutete zuerst etwas verstört ein Kopfschütteln an, realisierte aber rechtzeitig, dass es sich nicht um eine Frauge, sondern um eine Art nonchalanten Befehl gehandelt hatte. Sie nickte langsam, verkniff ihre Lippen zu einem unsicheren Lächeln und kam sich endgültig wie ein konträr zu ihrem eigentlichen Wesen existierender Filmcharakter vor. Sie zog ihre Hose runter und setzte sich aufs Klo. Irina ging in die Hocke, schüttete ein bisschen Koks auf Ceciles Oberschenkel und teilte es mit ihrer Kreditkarte in zwei Reihen. Dann sagte sie lachend, sie finde sie irgendwie ganz süß, und küsste sie auf den Mund.
Cecile musste sich Irina unweigerlich mit verfaulter Nasenscheidewand vorstellen.
Kokain, dachte sie plötzlich, Kokain macht Menschen zu Arschlöchern. Obwohl sie wusste, dass man am auf den Konsum folgenden Tag zu einer quallenartigen, sich in seiner Umgebung auflösenden Masse grauenerregender Selbstverachtung wurde, blieb Cecile nichts anderes übrig, als ihren Gedanken mehrmals zu wiederholen – Kokain machte
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