Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
gesenkten Kopfes hinter Swensons Leichenwagen her, und wie seine Gemeindeglieder ihn bei dem einen Mal hätten zum Säcketragen schicken mögen, so trauten sie bei dem anderen nicht seiner Darstellung von Demut. Denn er schrie sie an. Als er im Herbst 1927 von Propst Swantenius eingeführt wurde, hatten sie einen abgekämpften Seelenhirten erwartet, zum Abverdienen der Pension in eine kleine Stadt abgeschoben, gerade noch tüchtig genug zur Ausschmückung der Feste. Mit Milde fing der Neue gar nicht erst an. Ebenso ließ er sich nicht ein auf die Gewohnheit, daß die Kirche zu den feierlichen Gelegenheiten nur bestellt wurde, damit an der Hochzeit oder Geburt nichts fehlte (»damit alles seine Ordnung hat«). Er kam auch ungebeten ins Haus, da mußte gar nicht jemand krank sein, und setzte sich so breit, daß allenfalls Einer wie Peter Wulff um Bewirtung herumkam. Und er brachte die Kirche mit zu Festen, die sein Vorgänger zu Hause begangen hatte: Tag der Reichsgründung, Kaisers Geburtstag, Schlacht bei Tannenberg. Er gründete ein Gemeindeblatt, Rund um die Petrikirche, und ließ es sich nicht pro Stück bezahlen, sondern gleich das ganze Unternehmen, mit Spenden. Er mußte nur ein paar Sonntage hintereinander über die »Trägheit des Herzens« unter besonderer Berücksichtigung von Jerichow predigen (»wüten« nannte Ottje Stoffregen das), und Maaß am Markt bekam nicht nur das Geld für seine Druckerrechnung auf Vorlage, sondern zusätzlich Aufträge, für Plakate. Er brachte es fertig, in Jerichow, wo schon ein zehnjähriger Junge zum Mitarbeiten angehalten wurde, eine Gruppe »Eiserner Ring« zu gründen, und hielt die Kinder mit Übungen in Kluft und Abzeichen auf, und wenn er ihnen auch die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen verbot, die »Schildschaft« mußte bei Versammlungen doch in Uniform auftreten, und ihr Spruch war »Grip tau - Holl wiss«, und damit war gewiß nicht gemeint, ein Deutscher solle loslassen was er besaß, in der Hand oder in Gedanken. Pastor Methling zeigte sein hartes Ei von einem Kopf, an dem vorn ganz wenig Gesicht angebracht war, freundlich angehobenen Kinnes auf den Familienfotos und im Gneezer Tageblatt, denn er war eingenommen von der ausgeprägten Form und hielt sie für echt mecklenburgisch und niederdeutsch, und so ließ er sich auch vernehmen gegenüber den Stadtverordneten, die nun mit einem Mal in ihren Beratungen ein »Interesse der Kirche« berücksichtigen mußten, von dem sie früher weniger bemerkt hatten. Und die Adligen, die den neuen Pastor bei Dienstantritt zur Vorstellung beordert hatten, wurden seine Besuche nicht mehr los, und wenn er eine Freifrau von Plessen auf der Straße grüßte, so tat er das nicht mit dem Versuch angenommener Gleichberechtigung, wie doch immerhin der alte Papenbrock, sondern führte die Hand recht langsam an die Hutkrempe und kippte die Kopfbedeckung im Drehen des Handgelenks so feierlich, daß die Herablassung auffiel, und wenn Louise Papenbrock das mit seiner besseren Kenntnis der Bibel rechtfertigte, so mußte Pächter Kleineschulte etwas anderes verstanden haben, seit er vor Pastor Methling nicht mehr den Hut schwenkte, sondern die Peitsche.
Er machte sich fühlbar. Er begann mit der Aufforderung an die Gemeinde, im Gottesdienst die Hüte und Mützen nicht auf die Bankwangen zu hängen; er ging weiter mit dem Verlangen an Wöchnerinnen, für die Genesung mit einem Kirchgang zu danken; er hatte sich durchgesetzt, als er durch Beschluß des Kirchgemeinderats Frakturbuchstaben (statt Antiqua) auf Grabsteinen zur Bedingung machte, damit ein Deutscher deutsch sei, auch im Verrotten. Kam die Mutter eines unehelichen Kindes nicht freiwillig, so konnte er sie sich schicken lassen durch eine Gutsverwaltung, und hatte auf dem selben Wege genug erfahren zur Demütigung der Mädchen, und ließ es ohne Tränen nicht abgehen. Er hatte dem Fleischer Methfessel die Taufe eines Sohns verweigert, weil Methfessel nur mit der Gebühr bezahlen wollte, nicht aber mit dem Aufsagen der Versicherung, er werde den jungen Erdenbürger in christlichem Geiste erziehen und zu christlichen Taten anhalten. Nicht nur Methfessel hatte klein beigegeben. Sie ließen sich Methlings joviales Betragen gefallen, weil es ihn wenn nicht neben die so doch in die Nähe der Herrschaften rückte. Seine Vertraulichkeiten, seine Starrhalsigkeit, seine Salbaderei auf vaterländischen Kundgebungen lud auch ein zu Unternehmungen gegen ihn. Mit ihm sich anlegen, es mochte
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