Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Geld kosten, es konnte Spaß einbringen. Ein Mädchen hatten sie ihm noch nicht anhängen können. Daß er gern einen trank, gab er selbst zu oft zu, als daß es für eine Beschwerde bei der Superintendentur in Gneez gereicht hätte. Aber schon die Erde am Stiefel, die Jerichows ländliche Umstände bloßstellen sollte, war gut für Kopfschütteln oder Vergnügen daran, daß ein Endsechziger so sich gehen ließ. Und einmal hatten sie ihn hereingelegt, zum Reformationsfest 1931, als das Handwerk nicht wie er dachte mit Zylindern gegen den Bau einer katholischen Kirche demonstrierte, sondern die Einkünfte aus dem Auftrag feierte. In der Stadt galt Papenbrock als der einzige, der Methling gewachsen war; hatte er seine jüngste Tochter für Methling arbeiten lassen, so doch nicht ohne einen Gewinn, mochte der vorläufig undeutlich sein.
Und Pastor Methling machte sich hörbar. Leider hatte Methling eine Sorge. Oder war es eine Konkurrenz, oder geradezu ein Feind? Manchmal nannte er ihn das Element der Gottlosen, und seine Zuhörer hätten an die Kommunistische Partei denken können. Im Frühjahr 1932 wurde der Irrtum offenbar. Methling predigte über die Namensgebung und warnte vor jüdisch-griechischen Ableitungen, aber der plattdeutsche Akzent in seinem tönenden Baß war in siebzehn Dienstjahren an der Grenze zu Brandenburg ein wenig ausgewaschen. Methling, Mitglied und Abonnent aller mecklenburgischen Heimatbünde, sprach von der Kanzel herab über die völkische Forderung nach reinrassigen Ehen und nannte sie berechtigt. Unter der Kanzel saß Methlings Frau, klein, schmächtig, auffällig älter als er, mit einem vor Verschüchterung fast tauben Blick, mit blanken schwarzen Haaren in einem Dutt, kinderlos, von Kindern auf der Straße umlaufen, nicht Methlings Rasse. Rasse hielt Methling für eine irdische Schranke, die in der Ewigkeit aufgelöst werde; er wollte die Juden achten und lieben und zum rechten Glauben bekehren - regiert werden wollte er nicht von ihnen (das sei nicht christlich). Er sagte den Juden Geldgier nach, und seine Gemeinde entsann sich Methlings Vorliebe, kirchliche Dienstleistungen in Bargeld zu beziehen. Dr. Semig hatte oft genug im Preis nachgelassen. Er sprach von der jüdischen Gleichgültigkeit gegen die Idee der Nation, aber er hatte in der Heimat gepredigt, als Semig im Graben lag. Er meinte gar nicht Semig selbst, er meinte nicht den Kleiderhändler Tannebaum in der Kurzen Straße, obgleich er beiden Kaufgräber auf seinem Friedhof nur mit 100 Prozent Aufpreis abgelassen hätte; er meinte Volkstum, germanisches Erbe, Rassenehre. Jetzt ging Semig nicht mehr auf die Straße und nicht ins Hotel Stadt Hamburg. Jetzt saß Semig zu Hause, neben einem stillen Telefon, vor einem Terminblock, auf dem noch im Dezember einige Bestellungen standen, jetzt fast keine.
Wilhelm Methling war noch in Jerichow, obwohl er nach seiner Verabschiedung ein geerbtes Haus in Gneez bezogen hatte. Von da aus redigierte er weiterhin sein Blatt rund um den Turm der Petrikirche, mit der Unterstützung des Lehrers Stoffregen. Stoffregen schrieb kleine Aufsätze über Ortsgeschichte in der Umgebung von Jerichow, er tat auch eingesandten Kindermund und Familiennachrichten und Fotos von übriggebliebenen Windmühlen ins Blatt, aber Methling saß in Gneez und schrieb über Bäume, Bäume im Volkslied, in der Sage, notfalls an der Chaussee, und kam von jedem auf die Stammbäume, auf Staemmlers Gesetzentwurf zur Rassenscheidung, auf Eheverbot und Vorfahrenforschung (siehe den Stammbaum Jesu im Buch Lukas), nur daß er jetzt Geld verlangte für das Amt des Schriftleiters, das er vorher Ehren halber verwaltet hatte. Und Methling war es, der in einer Einwohnerversammlung in Gneez das Glückwunschtelegramm an den neuen Reichskanzler formuliert hatte, beim Verlesen fotografiert vom Gneezer Tageblatt, ein alter Mann voll kindlicher Freude, seine Lebensziele nicht übergangen sondern an der Regierung zu sehen, ein großes glänzendes mecklenburgisches Ei von einem Kopf, oben etwas flächig und an den Seiten leicht zusammengedrückt und knitterig.
Da wollte Cresspahl sein Kind anmelden.
Als er vor dem Pfarrhaus stand, sah er das Schild des neuen Pastors, Brüshaver, und erinnerte sich. Die Vordertür war verschlossen. Cresspahl ging seitlich um das Haus, über die matschige Einfahrt der Gärtnerei Creutz, aber die Pforte des Pfarrgartens war verschlossen, und hinter den rötlich spiegelnden Fenstern regte sich Keiner.
Bei
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