Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
uns, an der nördlichen Grenze unseres Viertels, steht die Kirche des Heiligen Johannes von Gottes Gnaden, die größte gotische Kathedrale der Welt, drei Blocks breit, von der 111. bis zur 113. Straße an der Amsterdam Avenue, begonnen 1891, nicht weitergebaut seit 1941, nicht fertig ohne die geplante Mittelkuppel und die beiden Türme zum Westen hin. Wir haben sie schon immer die Kathedrale des Unvollendeten Johannes genannt. Jetzt soll sie es bleiben, solange Horace W. B. Donegan Bischof von New York ist, bis die Qual der benachteiligten Bürger in den umgebenden Slums gelindert ist. Das sind zwei verschiedene Daten.
– Das verstehe ich nicht: sagt Marie: Wieso hab ich durch die Umstellung der Uhr eine Stunde zurückbekommen?
– Weil du am 30. April eine Stunde weniger schlafen konntest. Die Sommerzeit hatte dich zu früh aus dem Bett geholt.
– Und wenn ich mich nun nicht erinnere, ist es dann auch noch wirklich?
30. Oktober 1967 Montag
Mr. George Gallup hat sich wiederum an die Nation gewandt. Diesmal war seine Frage: Was würden Sie dazu sagen, daß man den Krieg schrittweise an die Republik Süd-Viet Nam zurückgäbe? Von Hundert fiel 9 gar nichts ein, und 20 waren dagegen. Den übrigen 71 wär es recht.
Gestern in Ostberlin paradierten die ostdeutschen und sowjetischen Streitkräfte Tanks, schwere Artillerie, Boden/Boden-Raketen, Panzer-Raketen, Boden/Luft-Raketen. Der Kommentar des ostdeutschen Militärfachmanns beschrieb die Panzer als »operationsfähig in durch Atomexplosion verseuchten Gebieten«.
Das erste Geräusch war das Schlackern der Fahrstuhlseile. Als schlügen die Ketten gegen die Schachtwände.
Über dem Riverside Park brachte ein bunter Vogel einen schwappenden Schaukelton hervor. Dann nahm er den Schwanz hoch und hängte sich in den Wind über dem Hudson und rief Arr-Arr. Es war nicht ein Hubschrauber der Station ABC, es war Ihr entflogener Rasierapparat, dessen Motor sich das Gehäuse nicht mehr lange gefallen lassen wird. Sir.
Da können Sie mir von zurückgenommener Rollreibung sprechen, solange Sie wollen: die Züge der Ubahn trampeln, und die Druckluftöffnung der Türen ist das Aufatmen von Menschen, wenn auch erst die davor wartenden Fahrgäste es dazu machen. Im Innern, erst wenn der Zug hält, klappen alle Haltestangen dünn zurück gegen ihre Spiralfedern. Dann beginnen die Passagiere, die Hände und Ellenbogen anzuheben und mit Zeitungen, Handtaschen, Tüten sich umeinander zu reiben, bis alle mit dem Gesicht zum Ausgang des Wagens stehen, in der Hoffnung, die Tür werde wie alle Tage der Kreuzdüse gehorchen und sich halb und halb in die Wand abrollen.
Die Hupen der Autos sind auf einen einheitlichen Ton gestimmt, er wird verändert durch die Ziegel- und Betonkanäle, zwischen denen er sich seitwärts, unter Brücken, nach oben abstößt. Fast ein Element der Luft sind die Sirenen der Polizei, die verstellbar sind vom höflichen Winseln bis zum Geheul der Amokläufer. Denen folgen die Autos mit den Betten für die Toten.
Süchtiges Schienenkreischen unter der Park Avenue in den vierziger Straßen. Die Einfahrt in den Bahnhof Grand Central ist ein Flaschenhals, den sonst die Polizei zur Beschreibung des Verkehrs bemüht. Wer will da noch alle Züge sehen unterhalb seiner Füße. Wären sie mehr als ein Denkmal?
Im Fahrstuhl die Knöpfe, weiche Gefäße für Druck, weichen unter Berührung mit heimlichem Klicken zurück, wie unter einer Wohltat, und danken mit gelber Färbung.
Wenn die Thermostaten dem Klimagebläse eine Pause verordnen, sterben alle Leute ein bißchen, weil ihnen eine Gewohnheit fehlt, die sie nun nicht mehr beschreiben können. Aber für eine Weile speien die Rippen der Maschine überhaupt keine Kaltluft mehr. Als ob jemand nie wieder atmen würde.
Fröhlich schlagen die Münzen auf im Kopf der Zähluhr, die die Busfahrer fernhält von einer bestimmten Art Unehrlichkeit. Und fetter klingen die nickelnen 5 Cent, die der Fahrer auf 25 zurückgibt, seit die Fahrpreise erhöht wurden; jetzt höre ich das Silber in jener Münze von 10 Cent, das ich früher bekam.
Das gastfreundliche Klappern billigen Bestecks auf den Eßtheken, das fast faustmäßige Zuschlagen der Rechnung und der mit fast schwesterlicher Aufmerksamkeit hingesetzte Teller: Da hast du, meine Liebe.
Und wieder das Behagen der Maschinen, die auf Rechnung der Verkehrsbehörde Ubahnmünze nach Ubahnmünze schlucken in wohlig knirschender Kehle, die die Fahrgäste zu fünfen in der
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