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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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übermannshohe Hecken Wiesen ein. Das Wetter ist das der See. Der meiste Wind ist westlich, vornehmlich im hohen Sommer und Winter. Hier ist es kühl. Hier sind die meisten trüben Tage im Land. Hier regnet es seltener als anderswo in Mecklenburg, und Gewitter kommt nicht oft vorbei. Die Apfelblüte ist spät, Mitte Mai, der Winterroggen ist reif am 25. Juli. Der Frost setzt später ein und verschwindet früher als im übrigen Land, aber er dringt kaum in den Boden, denn die Luft ist immer bewegt vom Wind, hier.

29. August, 1967 Dienstag
    An der Dritten Avenue, nördlich der 42. Straße, sind noch Bürgerhäuser aus dem vorigen Jahrhundert stehengelassen, vier und fünf Stockwerke mit einstmals vornehmen Fronten aus braunem Sandstein oder teuren Ziegeln, aber im Stein sitzt fetter Ruß, die Fenster sind schmierig und verstaubt, und nur noch im Erdgeschoß leben kleine Geschäfte, Imbißhallen, Bars, die den toten Baukörper über sich mit ihren Leuchtschriften und Markisen verstellen. Die Geschäfte haben genug für Laufkundschaft, Ansässige können sie kaum bedienen. Die Zukunft der Straße sollen die Bürohäuser aus Stahl und Glas sein, die auf blockbreiten zehnstöckigen Gesäßen Stufen ansetzen, vom zwanzigsten Stockwerk an in immer gleichen Schichten hochgestapelt sind, noch zwanzig Meter breit in der fünfzigsten Etage. Das Mattglas und Metall zwischen den Fensterbändern kann dunkelblaue, graue, grüne, gelbe Farben zeigen, bei einigen Gebäuden sind auch Mauersteinsäulen an die tragenden Streben geklebt, einen Unterschied machen noch die Namen auf der ebenerdigen Verkleidung aus Marmor. Die Häuser sind leicht demontierbar, und ihre Namen sind nicht eingemeißelt und nicht eingemauert, sondern aufgekittet oder angeschraubt, bequem abzunehmen.
    Das Haus, in dem Miss Cresspahl ihr Geld verdient, besteht aus einem zwölfstöckigen Sockel, der von einer Straße bis zur anderen reicht, und darüber einer gestaffelten Terrasse, auf die ein glatter Turm aufsetzt. Das Glas zwischen den blanken Rippen ist mit blaugrauen Bändern umwickelt. Die meisten Fenster sind von Jalousiestäben blind, noch schimmert wenig Neonlicht zwischen den Ritzen. Von der gegenüberliegenden Straßenseite, den Kopf im Nacken, sollte sie ihre beiden Fenstereinheiten ausmachen können, aber sie verzählt sich regelmäßig. Auf der Ebene der Straße ist die äußere Schicht des Hauses zur Hälfte eingerichtet als eine gewöhnliche Bank hinter übermannshohen Schaufenstern, die weder getönt noch gerillt noch verhängt sind und den Blick hineinziehen zu den kunstledernen Sitzmöbeln, Rauchertischen, Schreibtischen auf Teppichinseln, Schreibpulten, Schalterreihen unter dem Auge automatischer Kameras, der hochpolierten Pfannentür des Tresorraums. Die Bank, ein Wohnzimmer so groß wie ein Wartesaal, ist noch leer. In der anderen Hälfte des Hauses sitzt zu ebener Erde ein Restaurant, das seine Kunden mit lindgrünen Vorhängen vor dem Licht des Tages schützt. Der Haupteingang mit seinen vier Schwingtüren zieht so viele Leute vom Bürgersteig, daß der Trott der Passanten an dieser Stelle aus dem Schritt kommt. Hinter einer Wand aus hellem Marmor mündet das Foyer nach links in drei Fahrstuhlgassen, im Hintergrund geht der Trakt der Hausmeisterei ab, die rechte Wand nimmt ein langer Stand mit Zeitungen, Süßigkeiten und Rauchwaren ein. Jede Fahrstuhlgasse wird einzeln vom Aufseher gesteuert, dessen blaugraue Uniform über dem Herzen in gestickter Schreibschrift den Namen des Unternehmens trägt. Es gelingt ihr, ihm zuzunicken. Beim Eintreten in eine Kabine, über der Grünlicht eine Aufwärtsfahrt anzeigt, sieht sie die in den Fußboden eingelassene Nummer des Hauses, die dem Benutzer anzeigen soll, ob er es verwechselt hat. Unter den etwa fünfundzwanzig Insassen sieht sie heute kein bekanntes Gesicht. Als die stählernen Doppeltüren vor ihr zusammenklappen, ist es neun Minuten vor neun Uhr.
    Die Nachrichtentoten dieses Tages sind zwanzig Amerikaner, fünfzehn Südvietnamesen, achtundneunzig Nordvietnamesen, die letzteren geschätzt. Aus der Liste der amtlichen Toten führt die Zeitung nur zwei an, die zufällig aus dem Staat New York waren, als verschlüge die genaue Gesamtzahl ja doch nichts gegen einhundertfünfundneunzig Millionen Landesbürger. Der erschossene Nazi darf auf einem militärischen Ehrenfriedhof begraben werden, denn ihm ist lediglich Mordhetze gegen Neger und Juden nachzuweisen. Eine Mrs. Hart ist dagegen, dies Grab

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