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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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weniger als dem Juden das Haus zerschlagen. Aber um ihn kümmerte sich keiner der Zuschauer, alle hörten auf Oma Klug, die ihren leeren Korb schwenkte und nach ihrer Katze schrie und in unermüdlich keifendem Ton sich ausließ über den Zweck und den Sinn und über Leute, die Katzen stehlen, kranke Katzen, Katzen die auf drei Beinen gehen, Katzen die letzte Freude einer alten Frau! Methfessel fand die Katze im Gebüsch des Vorgartens. Es war eine ganz gewöhnliche grau und grüne Katze, allerdings mit vielen Schrammen und Wunden und einem empfindlichen Hinterbein.
    Am Sonntag wurde das Ehepaar Semig von einer Familie Plessen zum Mittagessen gebeten.
    Schlachter Methfessel verlor binnen einer Woche drei Adelsgüter als Kunden. Er ging in Jerichow umher und beschwor einem Jeden, der das noch einmal hören wollte, daß er am Tag des Boykotts nur aus Neugier den Umweg durch die Bäk gefahren sei, wie die anderen doch auch, daß er nur für wenige Minuten zugesehen habe, wie die anderen doch auch), daß er nur noch die Katze gesucht habe, was die anderen doch auch für eine alte Frau getan hätten. Er hoffte, seine Beteuerungen würden sich durchsprechen bis zu der beleidigten Kundschaft. Aber sie sprachen sich nicht herum. Methfessel fing wieder an, im Laden selbst zu bedienen. Da ging das Ladengeschäft zurück. Er war ganz ratlos: Zog er die braune Uniform an, hatte er eine sichere Kundschaft und konnte von ihr nicht leben. Eine öffentliche Entschuldigung im Gneezer Tageblatt hätte ihm die S. A. auf den Nacken geholt und den Adel nicht einmal zum Mitleid gebracht. Manchmal war er so durcheinander vom vielen Nachdenken, er mußte sich mit aller Macht ins Gedächtnis rufen, daß er nichts getan hatte, gar nichts, reinweg nichts. Mit seinem Umherreden hatte er erreicht, daß ihm nicht einmal mehr die Frau glaubte.
    Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums warf in Gneez einen Landgerichtsrat, zwei Beamte der Reichsbahn und drei Lehrer aus Arbeit und Brot, in Rande den Kurdirektor, in Jerichow Dr. Semig, der als Fleischbeschauer für den nördlichen Teil des Kreises Gneez Beamter gewesen war. Von der Fleischbeschau hatte Semig bisher weiter leben können, als fehle nichts. Er reiste nach Gneez und ließ sich melden im Landratsamt. Er wurde darauf hingewiesen, daß er nach Paragraph 3 wegen nicht arischer Abstammung ordnungsgemäß in den Ruhestand versetzt sei. Semig wies darauf hin, daß der Absatz 2 den Paragraphen 3 Absatz 1 aufhebe für Beamte, die »im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben«. Er hatte eigens sein Eisernes Kreuz angelegt. Der Kreisveterinär wies ihn darauf hin, daß der Auftrag zur Fleischbeschau, wenn auch versehentlich, einen Tag lang frei gewesen sei und hätte vergeben werden müssen. Semig wies darauf hin, daß ein Versehen repariert werden müsse von der Behörde, der es unterlaufe. Er wurde darauf hingewiesen, daß ein Amt, das besetzt sei, nicht nochmals vergeben werden könne. Semig wies auf die rechtliche Haltlosigkeit dieser Auskunft hin. Darauf wies ihm der Kreisveterinär die Tür. Semig kam zurück aus Gneez und hielt es alles für persönliche Intrige, nur auf seine Person bezogen. Das mochte Lisbeth Cresspahl nicht aus Deutschland nach England schreiben.
    Im Mai 1933 reichte Dr. Avenarius Kollmorgen beim Landgericht Gneez, in Namen und Vollmacht des Reichsfreiherrn Axel von Rammin zu Gut Beckhorst, Klage ein gegen den Gelegenheitsarbeiter Oswald Rahn, Obdachlosensiedlung Gneez. Der Beklagte habe die Pferde des Vollmachtgebers scheu gemacht, eine verkehrsgefährdende Situation herbeigeführt, sei verantwortlich für die Beinverletzung eines Pferdes namens Hildegard von Etz und die Beschädigung eines Kutschwagenrades und habe den Kläger sowohl mit herabsetzenden Worten als auch einer Gefahr für Leib und Leben bedroht. Als Ossi Rahn eines späten Abends auf Gut Beckhorst mit Freunden aus seinem S. A.-Sturm spazieren ging, hatte eine Gruppe Hofarbeiter im Schatten der Scheunen auf ihn gewartet und trieb auch seine Kameraden mit Knüppeln vom Ramminschen Besitz; übrigens war der Baron auf seine thüringischen Besitzungen gereist. Am nächsten Abend wurde Ossi beim Versuch der Brandstiftung erwischt; jedenfalls sagten alle Zeugen gegen ihn aus. Nun saß er schon im Keller unter dem Landgericht in Gneez. Seine Kameraden machten sich auf, Herrn Dr. Kollmorgen in Jerichow einen Besuch abzustatten, an der Tür war aber

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