Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
fallen in diesem Publikum auf. Die Sache ist wieder einmal dicht, und laufen tut sie überdies.
Cresspahl machte es so: er kam nach Deutschland sechs Wochen nach der Verkündung des Gesetzes zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933, das Jeden mit dem Tode oder lebenslangem Zuchthaus oder mit fünfzehn Jahren Zuchthaus bedrohte, der es unternimmt, eine der (Hochverrat erfüllenden) Druckschriften in Kenntnis ihres hochverräterischen Inhalts zum Zwecke der Verbreitung in das Inland einzuführen, oder wer eine solche Druckschrift nach ihrer Einführung im Inland verbreitet oder wer sonst ein im Ausland begangenes Verbrechen des Hochverrats im Inland fördert.
In der Manteltasche hatte er, offen und leicht als bedrucktes Papier erkennbar, eine Zeitung mit dem Urteil, das der londoner Gegenprozeß zu der leipziger Verhandlung über den Brand des Deutschen Reichstags ausgesprochen hatte. Einen Schritt aus dem hamburger Zollgebiet heraus, und sie hätten ihm alles nachweisen können, die Einführung, die Verbreitung und den Hochverrat. Eine ulkige Art, für den Unterhalt von Frau und Kind Vorsorge zu treffen, Cresspahl.
Ich har man blos vegetn dat ick dat har, Gesine.
Harstu secht, nich, Cresspahl.
Mi hem de Lü glövt un de Plizistn un Nåwers Katt ok. Weitstu doch.
Es hatte nicht viel gefehlt, und Cresspahl wäre die Elbe hinuntergekommen nicht mit einem, mit dreihundert Stück Druckschriften in einem doppelten Boden in einer von Lisbeths Kisten. Susemihl war allen Ernstes mit dem Vorschlag nach Richmond gekommen, gutartig, zappelig vor guter Laune und reichlich begeistert von seinem listigen Einfall. Aber der junge Mensch hatte nicht verheimlicht, daß Cresspahl in seinen Augen mit einer solchen Besorgung sich etwas reiner waschen werde, und er war zu früh aus dem Ton des Jüngeren in den des Befehlsgebers umgestiegen, so daß Cresspahl sich behandelt fühlte als bloß eine handliche Gelegenheit, um die es dem anderen nicht schade war. Darauf hatte es einen Streit mit Susemihl gegeben, über nichts als Politik, weil beide die Person des Anderen schonen wollten. Nun half es der S. P. D. nichts mehr, daß sie gegen die Ermächtigung Hitlers gestimmt hatte; da kam die Verlegung der Zentrale nach Prag genau so recht wie der Ausschluß sämtlicher jüdischer Mitglieder aus dem Vorstand. Das wollte Susemihl nicht glauben. Cresspahl konnte ihm nachweisen, daß der Beschluß vom 19. Juni war. Susemihl wollte wissen, was Cresspahl neuerdings mit den Juden habe. Cresspahl hatte es neuerdings damit, daß es Scheiße sei, Opfer der Verfolgung im Stich zu lassen. Susemihl hörte aus dem gleichmütigen, endgültigen Ton des anderen heraus, daß der nicht aus Versehen die Partei beleidigt hatte. Er versuchte zu sagen, bleichgesichtig jetzt und mit einer mühsamen Nachsicht: Cresspahl verstehe wohl nichts von Politik, im Grunde. Es hatte seinen Abschied einleiten sollen, und Cresspahl schlug ihn sorgfältig zwischen die blanken, unverhofft entsetzten Augen. Er ließ ihn nicht in der Küchentür liegen, er warf ihn hinaus auf den Hof, und es war ihm recht, daß es regnete. Es gibt so eine überwache, schnell fließende Wut, die es gründlich anstellt mit einem Verlust, wenn denn etwas verloren werden soll, nicht wahr, Cresspahl.
Right you are, Gesine. Un du kennst dat nich bloß von mi. Du hest dat sülben.
Ne.
Na?
Es ist wahr, Cresspahl hat es versäumt, in der Volksabstimmung vom November 1933 den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund auch für seine Person zu billigen und in den gleichzeitigen Wahlen zum Reichstag der Partei der Nazis auch mit seinem Kreuz zu den 92 Prozent an Ja-Stimmen zu helfen; er war zufällig nicht im Lande. Nicht einmal hat er ein Kind in die Welt gesetzt im Vertrauen auf eine Zukunft unter den Nazis, wie die jungen Eltern von 1934; sein Kind sollte in England aufwachsen. Es ist nur, daß er es dann bei den Nazis ließ. Und als Cresspahl Ende November in Jerichow ankam, wer war da ernannt zum Kommandeur der Politischen Polizei von Hamburg, Lübeck und Mecklenburg-Schwerin?
Heinrich Himmler.
Künnstu nich åhnn.
Ne.
Im April war der Beschluß zur Verdreifachung der Reichswehr binnen fünf Jahren. Im September gab es die erste »Arbeitsschlacht«. Im Oktober verließ die deutsche Delegation die genfer Abrüstungskonferenz. Im Oktober wurde die Reichswehr auf Sanktionen des Völkerbundes vorbereitet. Du hattest es doch mit dem Krieg. Du wolltest doch nicht in noch
Weitere Kostenlose Bücher