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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Lidern versteckt, anmutige dunkle Haarschwünge in der Stirn, Schluckbewegungen in der sehnigen Kehle, vielleicht doch Angst.
    In Providence ist Karsch also von Spezialisten der Mafia verhauen worden. Er schont sich nicht im geringsten: er gibt zu, daß er unterlag, und er zeigt nicht Stolz, daß er die Schläge überstanden hat.
    Das zweite Mädchen war eine vierjährige Schwedin im »Copter Club« auf dem Haus der PanAmerican in New York, der immer unausweichlicher wurde, daß sie in wenigen Minuten aufs Dach mußte und in den Hubschrauber zum Flugplatz Kennedy steigen. In all ihrer Angst setzte sie sich zu dem einzelnen Herrn am Nebentisch und tröstete ihn über die Tatsache, daß sie nun gleich mit ihren Eltern dahin abfliegen würde »woher unsere Familie geboren ist« und ihn allein zurücklassen mußte. Als der Aufruf kam, hatte sie ihn doch nicht erwartet. Bleich und entschlossen schleppte sie eine schwere Bordtasche mit sich, weil das zum Vorgang gehörte, aber vor der Fahrtreppe nach oben wandte sie sich noch einmal um und winkte dem Fremden zu, damit er ja nicht sich einfallen ließe, über ihre Abreise traurig zu sein.
    Nach New Jersey ist Karsch also wegen eines anderen Gerüchts gegangen. Er hatte so oft sagen hören von einem riesigen Rost, nach Bestellung angefertigt, auf dem die Mafia von New Jersey untreue Angehörige oder widerspenstige Gegner verbrenne, daß er sich einen Versuch nicht versagen mochte. Nicht nur fand er das Anwesen, ein weiträumiges Gelände mit Sportplätzen rings um das herrschaftliche Landhaus, er wurde auch hereingebeten vom Herrn des Hauses, einem italienischen Einwanderer der ersten Generation, der gern noch einmal die heimatliche Sprache an Karsch ausprobieren wollte, ihn mit Vergnügen auf dem Grundstück spazieren führte und ihm überdies bei makellosen Cocktails Grüße an Verwandte in der Nähe von … auftrug. Er gab dem Besucher sogar zwei Leute seiner Leibwache mit, die ihn zu einem Bahnhof der Tunnellinie nach New York bringen sollten, die aber unterwegs auf den Versuch verfielen, diesen Europäer einmal auf eigene Faust ein bißchen auszunehmen, und ihn zwei Tage lang auf das höflichste im Hinterzimmer eines Friseursalons in Newark in Gewahrsam hielten. Es war im Grunde lächerlich, das Opfer eines Nebenverdienstes von zwei Untersoldaten zu spielen, und kipplig wurde die Sache erst, als den beiden einfiel, der Fremde könne sie bei ihrem Arbeitgeber wegen Zuwiderhandlung gegen einen Befehl in Gefahr bringen. Aber zwei Tage in Rasierhaltung blieben lächerlich. Aus dieser Lage wurde Karsch durch das dritte Kind gerettet.
    Der Absatz, in dem von diesem Kind die Rede ist, beschreibt nicht sein Aussehen; er ist nicht einmal angestrichen. Es heißt dort nur, es sei wiederum ein Mädchen gewesen, eine Schülerin der vierten Klasse, verblüfft darüber, daß ein ausgewachsener Mann sich mehr kümmere um das Beschämende seiner Lage als um die Ursachen davon, und die Schülerin habe diesen Korrespondenten belehrt, daß er den Zwischenfall nicht einmal durch Mitführen einer Schußwaffe hätte verhindern können. Dem Korrespondenten sei durch das Verhalten des Kindes die Romantik des Verbrechens zuverlässig ausgetrieben. Er habe nun auch verstanden, daß das Kind keinen Dank wollte; Solidarität fahre besser, wenn sie schlicht wahrgenommen werde.
    – A tua disposizione, Fanta Giro: ist der Schluß des Artikels.
     
    – Meinetwegen kann er wieder anrufen: sagt Marie.

2. Dezember, 1967 Sonnabend
    Das Tribunal des Lord Russell für Kriegsverbrechen in Viet Nam, tagend in Roskilde bei Kopenhagen, hat gestern die U. S. A. in sämtlichen Punkten der Anklage für schuldig befunden: des Völkermords, des Einsatzes verbotener Waffen, der Mißhandlung und Tötung von Gefangenen, Gewaltanwendung gegen Gefangene, Verbringung von Gefangenen unter Zwang, weiterhin der Aggression auch gegen Laos und Kambodscha.
    Jean-Paul Sartre, ein Mitglied des Internationalen Gerichtshofes zu Roskilde, hat die U. S. A. schon einmal gestraft, als er vor zweieinhalb Jahren eine Einladung in dies Land ablehnte, weil seine Regierung einen Krieg in Viet Nam führe. Sartres Begründung machte jeden Ausländer, der in die U. S. A. reist oder dort lebt, zu einem Mitschuldigen.
    Im Jahre 1933 ermäßigte die Staatliche Italienische Eisenbahn ihre Preise um siebzig Prozent, um ausländische Touristen ins Land und zu einer »Faschistischen Ausstellung« zu ziehen. Sartre besorgte sich die billigen

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