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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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nicht beliehen werden durften; er gab zu bedenken, daß nicht immer der älteste Sohn der beste Bauer war und daß es Darlehen ohne Sicherheiten bisher nicht gegeben hatte für ihn. An den Sammlungen des Winterhilfswerks fand er menschlich, was der Österreicher über die hungernden Volksgenossen sagte; er, Papenbrock, glaubte den Hunger aber nicht gemacht zu haben und verstieß eigentlich gegen sein Gewissen, wenn er dann ein Fünfmarkstück herausrückte, dem eigenen Ansehen zuliebe. Es saß ihm immer noch in den Knochen, daß die neue Regierung einen wahrhaftigen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Schwerin ums Leben gebracht hatte; er hielt jedoch für möglich, daß die Reichsregierung das nicht wußte. Denn er war etwas bänglich zu der Trauerfeier für Johannes Stelling gereist, er hatte sich da sehen lassen in schwarzem Anzug, und hatten sie ihn verhaftet? hatten sie sich getraut, einen Offizier des Ersten Weltkrieges und eine Stütze der Wirtschaft auch nur zu verwarnen? Keineswegs mein lieber Cresspahl. Das sind wohl doch Leute, die wissen was sich gehört. Und was die Ordnung des Besitzes angeht, so war da keine Gefahr mehr. Dieser Hitler hatte doch am 6. Juni den Abschluß seiner nationalsozialistischen Revolution bekannt gegeben. Wenn das alles war. Dann war es nicht viel gewesen. Das war wohl in England nicht so richtig zu sehen gewesen.
    Louise hatte für die Familie Cresspahl geradezu eine Wohnung eingerichtet in jenem Teil des Hauses, das ein Giebelhaus für sich gewesen war, bevor Papenbrock es dazukaufte, weil er den Speicherraum unter dem Dach brauchte. Das waren zwei Zimmer mit drei Fenstern auf die Bahnhofstraße hinaus, und das Zimmer für das Kind mit einem Fenster und einer Tür auf den Balkon an der Gartenseite hinaus. Louise brachte es aber nicht ganz fertig, die neuen Würden und Rechte ihrer Tochter in Ruhe zu lassen, und konnte beim Essen Lisbeth nach etwas Vergessenem vom Tisch schicken, und Lisbeth stand auf wie ein Kind. Das erste Mal ließ Cresspahl sie gehen. Beim zweiten war Papenbrock etwas aufgefallen, und er rief nach dem Dienstmädchen.
    Lisbeths Schwester Hilde wartete immer noch bei Papenbrock ab, ob ihr Alexander wieder bürgerlichen Grund unter die Füße kriegen werde. Wenn die Schwestern zusammen waren, ging es mit Hilde nicht wie im März. Sie war immer noch die mehr Sichere von beiden, unbesorgt, flott, gleichmäßig in der Laune; aber sie achtete nicht sehr auf Cresspahl. Es gelang ihr mehrmals, auf die Bürgermeisterwahl im Oktober zurückzukommen und Alexander Paepcke die nötigen Fähigkeiten auch nachzusagen, wenn nicht mehr. Dann zog der alte Papenbrock sich in einer verdrossenen und belustigten Art zusammen, so daß ihm auf die Nasenspitze geschrieben stand, was er der fürsorglichen Ehefrau Paepckes nicht antworten mochte. Vielleicht war ihm willkommen, daß Hilde allmählich die fehlenden Klientengelder ihres Alexander und seine abgebrannte Ziegelei für eher lustige, jedenfalls längst vergangene Sachen ansah. Hier hatte Papenbrock einer Tochter einen Wunsch nicht erfüllt. Dr. Paepcke als oberster Herr über die Stadtkasse von Jerichow gesetzt, es war auch für Cresspahl erheiternd, solange es dazu nicht kam.
    Es wäre Papenbrock möglich gewesen. Denn Papenbrock hatte es geschafft, in die Stadtplanung von Jerichow mehr als nur einen Finger zu stecken. Er hatte in öffentlicher Sitzung vorgetragen, daß die Entwicklung der Stadt in südlicher und westlicher Richtung voranlaufen werde, aber nicht oben, wo Dr. Erdamer ein Viertel aus Einfamilienhäusern angelegt und durchgesetzt hatte, sondern am unteren Ende, und zwar einmal auf der anderen, von der Stadt abgewandten Seite der Eisenbahn, wo bis jetzt die Grundstücke von Ackerbürgern genutzt wurden, und zum anderen am Ziegeleiweg, der hinter der Villa der Ziegelei leer auslief. - Wenn diese Straße einmal ausgebaut ist und an die ebenfalls bebaute Bäk anschließt, hat Jerichow seinen Westring geschlossen! hatte Papenbrock ausgerufen. Der Ziegeleiweg war hinter dem Cresspahlschen Grundstück nur Sand, und wo er auf die Bäk traf, war sie auch nur Sand, und die Häuser an der Bäk standen in gehöriger Entfernung von der Kreuzung. Da die Stadtverordneten vorerst sich gegen den Ausbau der Speicherstraße entschieden hatten, waren jetzt Arbeiter im Ziegeleiweg zugange und rissen ihn aus und legten eine Gasleitung unter ihn, die hinter Cresspahls Scheune aufhörte. Lisbeth hatte sich in Richmond an das Kochen

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