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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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in Stücke. In Jerichow waren die Zuschauer aufgeregter als in Gneez, machten Bemerkungen zu dem Schauspiel, lobten die Schläge oder bewerteten sie abschätzig. - Hier geit he hen, dor geit he hen: hieß es, oder: Das kost jo kein Geld, seggt de Buer, un verprügelt sin’ Jungen. Das sagte Pahl, für den der Jude eine ärmliche Konkurrenz gemacht hatte. Es war weniger bösartig als pädagogisch gemeint; der Jude sollte ein für alle Male erzogen werden. Als die S. A. im Geschäft Tannebaums war, entdeckten sie, daß sie die Schaufensterscheibe vergessen hatten, und warfen von innen mit Stühlen und Regalbrettern dagegen. In einem Tuchgeschäft ist nicht viel Hartes, und sie schafften es erst mit der Registrierkasse, die sich beim Fall aufs Pflaster öffnete. Da lag das Geld auf der Straße, wenige Scheine, ein bißchen Hartgeld. - Das’s nich recht: sagte eine weibliche Stimme, offenbar die einer alten Frau, bekümmert und entsetzt in einem. - Nu geit de Reis los, sä de Mus, dor löp de Katt mit ehr tau Boen: sagte Böhnhase, als Oskar Tannebaum auf die Straße gestoßen wurde. Er war auf die Knie gefallen, stand aber sogleich wieder auf. Das paßte Demmler nicht (Hansi Demmler, Jerichow-Ausbau), ihm hatte das Knien besser gefallen. Tannebaum mußte das Geld auf den Knien einsammeln und zu Friedrich Jansen tragen. Friedrich Jansen winkte Ete Helms zu sich, und Ete Helms stand Habacht vor ihm, wollte aber das Geld nicht nehmen. Jansen, hochrot im Gesicht, drohte ihm mit Strafe wegen Verweigerung eines Befehls, und Ete schlug die Hacken zusammen und nahm das Geld nicht. Daß Jansen dann das Geld in die eigene Jacke geknöpft hätte, wäre für sein Ansehen ebenso schlimm gewesen, wie daß er es jetzt auf die Steine warf und darauf herumtrampelte. Den ersten Schuß hörte nur Peter Wulff, der sich bis dahin still beiseite gehalten hatte. Jetzt rief er um Ruhe, ganz unbekümmert um die Vertreter der Staatsgewalt, in einer sachlichen militärischen Art. Dann fiel der zweite Schuß. Friedrich Jansen befahl, die Straße für die Feuerwehr freizumachen, und das altmodische Gefährt wurde vor das zackige Loch im Haus geschoben, obwohl da kein Feuer war. Dann kam Frieda Tannebaum aus dem Haus, langsam, ohne daß einer sie von hinten stieß. Auf den Armen hatte sie das älteste Kind. Sie stellte sich wie Oskar mit dem Rücken zur Wand. Sie sahen sich über das Kind hinweg an. Das war die Marie Tannebaum, acht Jahre alt, ein wildes, verschlossenes Mädchen, das sich im Gräfinnenwald umhergetrieben hatte, seit Lehrer Stoffregen sie nicht mehr in seine Schule gelassen hatte. Sie hatte lange schwarze Zöpfe, die nun fast bis aufs Pflaster hingen. Als sie der Mutter zu schwer wurde, glitt sie mit ihr in den Armen auf den Boden, immer gehorsam mit dem Rücken zur Wand, und fiel über ihr zusammen. Sie hielt ihr Kind immer noch wie eins, das bloß schläft und nicht aufwachen soll.
    Lisbeth Cresspahl soll dazugekommen sein, als Friedrich Jansen auf das Geld trat. Sie hatte sich langsam zwischen den Zuschauern nach vorn gewunden und war eben vorn angekommen, als der zweite Schuß zu hören war. Danach hatte sie still gestanden, schweigend wie alle. Erst als Frau Tannebaum sich auf die Erde setzte, war sie vorgetreten, um Friedrich Jansen herumgegangen, so daß der den ersten Schlag ins Gesicht bekam, ohne ihn zu ahnen. Sie schlug aber mehrmals zu, obwohl sie den großen schweren Mann gar nicht im Ernst treffen konnte. Sie schlug wie ein Kind, ungeschickt, als hätte sie es nicht gelernt. Friedrich Jansen hielt ihr einfach die Hände fest.
    Ete Helms holte sie zurück unter die Leute, und weil er ihr die Hand auf die Schulter legte, hielt Friedrich Jansen sie wohl für verhaftet. Friedrich Jansen kommandierte nun die Feuerwehr. Die Feuerwehr mußte ihr Wasser eine halbe Stunde in das Haus schießen, das nicht brannte, weil Jansen mit der Pistole hinter der Spritze stand.
    Ete Helms hatte Cresspahls Frau sofort losgelassen, als sie außer Sichtweite der Zuschauer waren. Vor Papenbrocks Haus ließ er sie gehen, nahm beim Gruß die Hand an die Mütze. Nach Helms’ Erinnerung ist sie in das Haus hineingegangen, aber gesehen hat er es nicht.
    – Ist das wieder etwas, was du nicht erzählen willst? sagt Marie. Würde Francine es nicht verstehen?
    – Sie würde es nicht verstehen.
    – So eine Wassertonnengeschichte?
    – So eine.
    – Erzähl sie mir nicht, Gesine.

15. Februar, 1968 Donnerstag
    Die Frage war weit. Ob an den

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