Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Malchow nachsehen, ob die Gräber seiner Eltern ordentlich gehalten waren, er wollte in Güstrow Schmidt und Büntzel besuchen und in Wendisch Burg vorsprechen, damit die Schwester nicht gekränkt war. - Nimm doch das Kind mit: sagte Lisbeth. Das Kind stand am Kohlenkasten und trennte die Zeitung in Streifen, ernsthaft und selbstbewußt wie bei allen Hausarbeiten, in denen es schon angelernt war, beim Hühnerfüttern, beim Beerenpflücken im Garten. - Gertrud wird sich freuen: sagte Lisbeth, nicht drängend, nicht überredend, und weil Gertrud Niebuhr in diesem Jahr wiederum nicht den versprochenen Besuch von Gesine bekommen hatte, gingen er und das Kind zum Elfuhrzug aus dem Haus.
– Gesine: rief sie, als sie schon hinter dem Tor waren. Sie stand in der vorderen Tür, an einen Flügel gelehnt, die Arme locker unter der Brust verschränkt. Sie winkte, mehrmals, bis das Kind auch den Arm hochhielt und die Hand ein wenig bewegte. Aber das Kind zog an Cresspahls anderer Hand, und er vermochte später nur anzunehmen, daß sie gelächelt hatte beim Winken, und daß sie sich hätte umarmen lassen.
Am nächsten Abend wurde meine Mutter noch zweimal gesehen.
Was sie zu der Zeit in Gneez wollte, es ist nicht erfindlich. In der Schauburg wurde ein Film gezeigt, den sie schon in Lübeck gesehen hatte, Verwehte Spuren, mit jener Kristina Söderbaum. Im Capitol lief an diesem Abend Helden in Spanien, mit dem Vorprogramm Festliches Nürnberg, und es hätte sie nur an den Krieg erinnert, den Cresspahl da ausprobiert glaubte. Die gneezer Synagoge stand seitlich der Horst-Wessel-Straße, die vom Capitol zum Bahnhof führte. Als Lisbeth da gesehen wurde, brannte das Gotteshaus schon im Dach, aber unten schleppten Leute in abgerissener Kleidung, die nach methlingscher Nächstenliebe aussah, glänzende Sachen aus dem Eingang, auch Gegenstände in Säcken. Es war hell vom Feuer, auch von Licht in der Synagoge, aber die beiden Nachbarhäuser waren in allen Fenstern dunkel. Von der Brandmauer an stand Polizei quer über die Fahrbahn, auch von der anderen aus. Lisbeth Cresspahl fiel auf, als sie die Absperrung zum tiefen Ende der Straße passieren wollte. Der Beamte fragte sie nicht einmal nach ihrer Bewandtnis; er riet ihr, um den Block zu gehen und es vom anderen Ende her zu versuchen. Die Zuschauer, eine stille, dunkle Gruppe, machten ihr Platz, aber sie soll da stehen geblieben sein. Sie war noch da, als die Feuerwehr vom tiefen Ende kam und in Bereitschaft ging. Inzwischen schlug das Feuer schon unten aus der Synagoge, und der Lastwagen mit den Plünderern war abgefahren. Die Feuerwehrleute benahmen sich eilig und genau, wie bei einer Übung, nur daß sie in Wartehaltung übergingen, als sie nun hätten löschen können. Vielleicht hat Lisbeth noch gesehen, wie Joseph Hirschfeld von der Horst-Wessel-Straße angelaufen kam, durch das Gedränge ruderte mit kräftigen Armen, trotz seiner neunundsechzig Jahre, und wie der selbe Beamte, der der Papenbrocktochter so höflich geraten hatte, mit dem Rabbiner gewalttätig zwischen den Leuten zurückrannte. Er hatte den alten Mann fest am Oberarm, und weil er obendrein größer war, schien er nicht mit einem Verhafteten auf der Horst-Wessel-Straße zu verschwinden, sondern wie mit einem Opfer. Da begannen die Feuerwehrleute schon gelegentlich die Kanten der Häuser neben dem brennenden mit Wasser zu bestreichen. Als das Dach des Gotteshauses einfiel und wegflog, sprühte auch Glut auf die Straße, und die Zuschauer wichen zurück. Um diese Zeit stand Lisbeth nicht mehr an ihrem Platz. Vielleicht ist sie zum jerichower Zug gegangen, der halb vor zwölf fuhr.
In Jerichow, in Oskar Tannebaums Laden, sollen einige von denen dabei gewesen sein, die die gneezer Synagoge in Brand steckten. Wenn das wahr ist, könnte sie sie erkannt haben. Die jerichower Polizeitruppe hatte nicht genug Mann, die Straße abzusperren, darum stand da auch Friedrich Jansen Wache, Bürgermeister, Polizeichef, mit gezogenem Revolver. Die verkleidete S. A. nahm sich mit Tannebaums Laden mehr Zeit. Es war eine so winzige Gelegenheit, das Vergnügen mußte gestreckt werden. Der Vorgang erinnerte an eine Laienspiel-Aufführung. Gastronom Prasemann legte einen Finger auf den Mund, und erst als es in der engen Straße fast still war, hob er die Axt und schlug damit ins Glas der Ladentür. Dann erholten sie sich in unterdrücktem Gelächter. Oskar Tannebaum machte immer noch nicht Licht. Nun schlugen sie sorgfältig die Tür
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