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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Herkunft, der den Namen Junkers bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs abgelegt hatte, nicht als Lossagung vom Deutschtum, sondern der Nachbarn wegen, in einem kleinen Dorf Michigans … und als er sich mit heimlicher Erleichterung verabschieden konnte, war sein Gesicht vollständig vergessen, nur seine wohlig knarrende Stimme noch im Gedächtnis.
    Das war auch nicht richtig. Der will doch von nun an gegrüßt werden. Der kann sich doch nicht vorstellen, daß man ihn vergißt. Senden Sie mir ein Foto, Mr. Kennicott II , Sie darstellend.
    Dann kam de Rosny in das neue Büro, Mr. Vice President wie er leibt und lebt, ein fröhlicher Patenonkel, der an der Freude über seine Geschenke teilnehmen will. Ist alles in Ordnung, Mrs. Cresspahl? Das glaubte er nicht, hatte seine Bedenken wegen der Stellung des Schreibtischs und half ihn mit seinen eigenen Präsidentenhänden rücken, so daß er nun nicht mehr schräg zwischen den Fenstern stand, sondern gerade vor einem. Dabei kam er an eine um ein Winziges vorstehende Schublade und zog sie auf, schloß sie rasch, mit einer Miene, als wolle er auch über Unsittliches mit Diskretion hinweggehen. Dann ging ihm auf, daß die Angestellte Cresspahl in diesem Zimmer noch nichts eingeräumt haben konnte, und zog die Schublade abermals auf.
    – Schuhe: sagte er entgeistert.
    Gewiß, Mr. Vice President. Ein Paar Damenschuhe, weiße Pumps, fast gar nicht getragen.
    – Ich frage Sie der Ordnung halber - ! sagte er, schon auf dem Weg in das strafende Gewitter, das er nun über alle Stockwerke unter ihm zu senden plante.
    Die Angestellte Cresspahl braucht eine kleinere Größe. Weiße Schuhe in einem Februar, wer trägt das in diesem Land? Nein, Mr. de Rosny.
    Die Angestellte Cresspahl bekam für den Rest des Tages frei, mit der Begründung, das Telefon in dem neuen Büro sei noch nicht auf die richtige Nummer geschaltet.
    Was müssen Sie nun von uns denken, Mrs. Cresspahl?
    Soll ich was denken?
    Auf alle Zeit werden Sie mich in der Hand haben, Mrs. Cresspahl!
    So kann ich nicht denken.
    Weil Sie das lernen sollen, sind Sie hier!
    Und Damenpumps im Schreibtisch, das glaubt mir keiner.
    Dann brauchen Sie es doch auch nicht zu erzählen.
    Soll das ein deal sein, Mr. de Rosny?
    Das soll abgemacht sein, Mrs. Cresspahl.
    – Du siehst aus, Gesine, als sei dir schlecht. Was ist es?
    – Das glaubst du doch nicht.
    – Mrs. Cresspahl, sagen Sie es mir. Sagen Sie es Francine.
    – Ich war heute nachmittag in zwei Kinos, zwei Filmvorführungen nacheinander. Das muß es sein.

14. Februar, 1968 Mittwoch
    In Darmstadt, in einem kleinen, schäbigen Raum tagt ein Gericht nunmehr seit vier Monaten wegen der Morde in der Schlucht Babi Jar bei Kiev im Jahr 1941. Die New York Times gibt die Opfer jetzt als über 30 000 Juden und etwa 40 000 andere an. Die 11 Angeklagten, ehemalige Angehörige der S. S., tragen interessierte, gelangweilte, amüsierte, abwesende Mienen zur Schau. Keiner scheint beunruhigt oder bekümmert über die Aussagen. Einer kann sich nicht erinnern, der nächste war nicht zuständig, wieder einer hat nur davon gehört. Als die Wände der Schlucht gesprengt und das Geröll über die Opfer geschaufelt wurden, lebten manche noch. Einem Angeklagten wird durch Zeugenaussage vorgehalten, es sei seine Spezialität gewesen, kleine Kinder an den Beinen hochzuhalten, sie mit einer Pistole zu erschießen und in den vorbereiteten Graben zu werfen. Dieser eine regt sich auf. Da müsse einer den gleichen Namen gehabt haben wie er. Er sei es nicht gewesen. Ein Irrtum. Die New York Times hat die Zuschauer am 13. Februar gezählt. Es waren vier. Herr Bernd-Rüdiger Uhse, Westdeutschland, ein Vertreter der Anklage, erklärte gestern der New York Times die Gefühllosigkeit des Gerichtsverfahrens in der folgenden Weise: Wenn Sie heute einen Autounfall sehen und die blutigen Opfer betrachten, sind Sie entsetzt. Aber wenn Sie fünf Jahre später über den selben Unfall sprechen, werden Sie sich nicht sehr aufregen.
    Anfang November 1938 erschoß Herschel Grynszpan, siebzehn Jahre alt, in Paris den deutschen Botschaftsattaché vom Rath, »aus Liebe zu meinem Vater und zu meinem Volk, die unerhörte Leiden ausstehen«. Er bedaure sehr, einen Menschen verletzt zu haben, aber er habe keine anderen Mittel gehabt, seinen Willen auszudrücken.
    Die Weltraumpanik Anfang November 1938, das war in den U. S. A., als Orson Welles ein Hörspiel über C. B. S. ausstrahlen ließ. In dem Spiel war ein Weltraumschiff

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