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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ick.
    Un nu süppst du, Hinrich.
    Kann ick di helpn?
    Ne, Hinrich. Help di man sülbn.
    Cresspahls Kind war am nächsten Morgen erstaunt, daß sie der Frau die Hand geben sollte, die ihr das Frühstück hingestellt, stand aber gehorsam auf. Sie hatte sich auch Mühe gegeben, mit dem Anziehen und Waschen ohne die Hilfe des Vaters fertig zu werden, um ja die Reise mit ihm nicht zu verderben. Sie gab der Frau die Hand, machte den Papenbrockschen Knicks und bedankte sich auf Hochdeutsch. Sie wagte sich erst nach einer Weile heraus mit der Frage, ob die Frau geweint habe. Das war auf dem Weg zum Bahnhof, an einer Schule, aus der hinter einem angelehnten Fenster Kinderstimmen im Chor zu hören waren, und Cresspahl gab ihr ein Zweimarkstück als »Reisegeld«, so daß sie die feuchten Augen der Fremden vergaß, ebenso wie die Lehrverse.
    Trau keinem Fuchs auf grüner Heid!
    Und keinem Jud bei seinem Eid!
    Nach Wendisch Burg kam man auf einer südwestlichen Nebenstrecke von Neustrelitz aus, und zu den Niebuhrs mit einem Postauto, dessen Fahrer Cresspahl zuliebe mitten in einem kahlen Mischwald anhielt. Dann war zwischen den Baumstämmen ein niedriges rotes Dach zu sehen, in müde schleichendem Nebel. Das war die Havelschleuse Wend. Burg.
    Auf dem Schleusenhof war nicht nur Cresspahls Schwester mit Niebuhr, auch dessen Bruder Peter mit Frau und Kind. Mit jenem Klaus Niebuhr, nicht ganz fünf Jahre alt, einem berlinischen Kind, das kaum Plattdeutsch konnte und nicht viel mehr verstand, wurde Gesine auf den Platz hinter dem Haus geschickt. Da stand eine Schaukel, und auch einen Sandkasten hatten die kinderlosen Niebuhrs angelegt. - Ich wohn aber nicht hier, ich wohn in Berlin! sagte der Knabe …
    Martin Niebuhr führte den Schwager mit bescheidenem Stolz umher auf dem Grundstück, zeigte die Schleusenanlage, das Büro, die beiden Telefone, die Bienenstöcke, aber für den Rest des Nachmittags war Cresspahl allein mit Peter Niebuhr, der in dem Schuppen auf der anderen Seite des Flusses ein Boot in Ordnung zu bringen versuchte. Es war eine havarierte H-Jolle, mit weggebrochenem Mast, die obendrein den vorigen Winter im Freien gelegen hatte. Peter Niebuhr hatte nicht viel dafür bezahlen müssen, aber von Bootsbau verstand er nicht genug, so daß die Unterhaltung mit Cresspahl gleich unbehaglich anfing.
    Peter Niebuhr, damals eben dreißig Jahre alt, besah sich den Älteren mit Vorsicht. Er konnte einen solchen Lebenslauf nicht begreifen: Mecklenburg, Auswanderung, Rückkehr zu den Nazis. Er konnte die Geduld nicht fassen, mit der der andere die Fragen zurückhielt, die ihm wohl einfallen konnten: warum ein eingeschriebenes Mitglied der Kommunisten 1934 in die Unteroffiziersschule Eiche kam und von da in Darrés Reichsnährstand. Nachdem sie eine Weile stumm nebeneinander gearbeitet hatten, fing Peter von Dr. Semig an, nicht ohne Trotz, nur zu der mindesten Entschuldigung bereit. - Min Jung: sagte Cresspahl nach einer Weile, und der Dreißigjährige, studiert, diplomiert, angestellt bei einem Ministerium in der Reichshauptstadt, er konnte nicht nur die Anrede hinnehmen, auch den gelassenen, prüfenden Blick des fremden Verwandten, der nichts darstellte als einen Tischlermeister in einer winzigen Stadt an der Ostsee. Dann besann Cresspahl sich auf die Bildung des anderen und sagte hochdeutsch: Es war so gut, wie du es wohl gemeint hast. Ohne dich hätten wir ihn ja nicht mal aus dem Land gekriegt.
    Cresspahl mochte den Jungen. Von den Brüdern Niebuhr hatte er an Verstand, Kraft, Stehvermögen, was dem älteren Martin mit Schußligkeit, Trödelei, Bequemlichkeit abging. Er mochte an Peter, daß ihm nicht wohl war, weil er nicht nur seine Partei aufgegeben hatte, sondern wegen des Brots für die Familie zu einer anderen übergelaufen war. Cresspahl konnte da an manchem erkennen, wie es ihm vor fünfzehn Jahren gegangen war. Der andere konnte mit seinem Beruf schlechter als er in ein Ausland gehen. Ihm gefiel auch die Frau, die der andere sich ausgesucht hatte, die Martha Klünder aus Waren, immer noch ein Mädchen, mit allen schüchtern außer mit dem Mann, gar nicht mehr die Beamtentochter, als die er sie kennen gelernt hatte. Cresspahl sah auf solche Ehe, kaum jünger als seine, nicht ohne Neid hin. Er dachte auch an Perceval, T. P., den er in England verloren hatte, an Manning Susemihl. Vielleicht wollte er noch einmal etwas versuchen. Er ließ Peter seine Seite von der Griemschen Sache erzählen. Dann erklärte er ihm, wie

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