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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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das von Jerichow her ausgesehen hatte. Er unterbrach den anderen nicht, als der nun ausführlich über seine Vorgesetzten herzog, die ihn nicht hatten halten wollen ohne den Knopf der Nazis im Revers. Nach einer Weile gaben sie die Arbeit auf und gingen am Fluß entlang bis zum nächsten Dorf, und kamen zum Essen fast einig zurück. Was das Boot anging, so sollte Peter es nach Jerichow schicken, und außer den Transportkosten für die Instandsetzung nichts zahlen. Dafür wollte Cresspahl segeln lernen.
    Die Kinder wurden zum Schlafen in eine Kammer gesteckt, die von dem Wohnzimmer abging. Sie hatten sich den Tag über ihre Eltern, ihre Häuser, ihre Nachbarn erzählt, sie schliefen bald ein trotz des Stimmengemurmels nebenan, in dem auch Gelächter war, Vergnügen, Freundwilligkeit. So viele Leute auf einmal hatte Gesine noch an keinem Tag kennen gelernt.
    Es war Gesine, die am nächsten Morgen das Telefon hörte. Es war nicht der Apparat, der an das Binnennetz des Wasserstraßenamtes angeschlossen war, sondern der von der Reichspost. Sie kam eben in die Tür des Büros, als Martin Niebuhr den Hörer an Cresspahl weitergab. Es war gegen sechs Uhr morgens am 10. November. Meine Mutter war schon eine Stunde lang tot.

16. Februar, 1968 Freitag
    Die durchschnittliche Industriearbeiterin in der Č. S. S. R. ist 161 Zentimeter groß, wiegt 63 Kilogramm und hat einen Brustumfang von 89 Zentimetern. Die Statistik soll wichtig sein für neue Entwürfe von Maschinen, die den Arbeitern besser angepaßt sind. Ob da einer falsch übersetzt hat? Manchmal läuft die Arbeit hinterher an den Riverside Drive.
     
    – Gesine, ich habe Sorgen mit Francine.
    – In der Schule?
    – Auch.
    – Lassen deine weißen Freundinnen dich büßen für die schwarze Freundin?
    – Sie halten sie nicht für meine Freundin.
    – Weil du sie in den Pausen allein läßt?
    – Weil Schwester Magdalena sie von mir weggesetzt hat.
    – Ist das wieder togetherness?
    – Nein. Francine fühlt sich nun so sicher, sie paßt nicht mehr auf.
    – Habt ihr im Unterricht geredet?
    – Fast gar nicht. Es ist so: wenn sie etwas nicht versteht, verläßt sie sich auf mich.
    – Sind das Schwester Magdalenas Worte?
    – Ungefähr.
    – Glaubst du das?
    – Ja, Gesine. Das glaube ich.
     
    Der Außenminister Rusk hat dem Senator J. W. Fulbright einen bösen Brief geschrieben. Seine Fragen nach der Verwendung von Kernwaffen in Viet Nam seien ein schlechter Dienst an der Nation. Der Brief schließt nicht grundsätzlich aus, daß der Einsatz von Kernwaffen erwogen wird.
     
    – Warum macht dir das Sorgen?
    – Ist es nicht meine Sache, Gesine?
    – Eher Francines.
    – Ich habe ihr geholfen.
    – Sie hat sich bedankt.
    – Ich habe ihr geholfen zu etwas, das sie nicht kann.
    – Laß ihr doch Zeit.
    – Gesine, sie muß in einer fünften Klasse lernen, was sie in der sechsten braucht. Right?
    – Right.
    – Also wird sie immer hinter uns anderen her sein.
    – Du redest wie Mrs. Linus L. Carpenter III . »Wir sind von ganzem Herzen dafür, daß auch Neger in solchen Wohnungen leben dürfen wie wir. Vielleicht sollten wir das aber nicht in unserer besonderen, verzwickt gelagerten und anders gewachsenen Hausgemeinschaft beginnen.«
    – Gesine, ich habe nicht eine Wohnung zu vergeben, sondern eine Schuld, die ich nicht will!
     
    Vierundzwanzig sowjetische Schriftsteller, darunter Konstantin Paustowsky und Wassili Aksionow, haben den Generalstaatsanwalt gebeten, dem wegen Meinungsverschiedenheiten verurteilten Alexander Ginzburg und seinen Freunden einen neuen Prozeß zu gewähren, der nicht »düstere Erinnerungen« an die stalinistischen Prozesse der dreißiger Jahre hervorrufe. Könnten Sie unter irgend möglichen Umständen zu der Meinung gelangen, daß ein sowjetisches Gericht, im fünfzigsten Jahr der Sowjetherrschaft, ein falsches Urteil verhängen würde? Könnten Sie sich das vorstellen?
     
    – Warum ist Francine nicht hier?
    – Das weiß ich nicht.
    – Wo ist Francine?
    – Das weiß ich nicht.
    – Hat sie einen Schlüssel?
    – Weil sie keinen hat, muß ich ja hier bleiben.
    – Was hat sie beim Weggehen gesagt?
    – Daß sie es satt hat.
    – Dich? Uns?
    – Vielleicht. Oder aber sie kann es nicht lange in einer Wohnung aushalten.
    – Das hat sie von der, aus der sie kommt.
    – Gewiß, Gesine. Ich entschuldige sie selber. Aber warum läuft sie weg von den Schularbeiten, wenn sie sie vielleicht zum ersten Mal in Ruhe machen kann?
    – Es ist zu

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