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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Einsatz von Atombomben in Viet Nam gedacht sei. General Earle G. Wheeler, Chef des Generalstabes, machte sie eng: Nicht in Khesanh.
    Auch gibt es eine Nachricht von jenen, die mich ihresgleichen nennen. Drei ostdeutsche Mädchen wurden von den Olympischen Winterspielen in Grenoble ausgeschlossen, weil sie die Kufen ihrer Schlitten angewärmt haben. Es sollen aber die Westdeutschen schuld sein.
    Und wiederum haut die New York Times dem Bürgermeister, seiner Ehren John Vliet Lindsay, den Hintern voll. Denkt er doch ernstlich daran, die Lautsprecher der Subway für das Durchsagen von Reklame zu vermieten, nach dem Muster: Times Square. Umsteigen auf BMT und IND . Und kaufen Sie bei Nedick einen Orangensaft und Heißen Hund. Das einem eingesperrten Publikum! Das zu der Kakophonie von Klirren und Kreischen und Knirschen unter der Erde! - Es ist unglaublich! - Es ist das Letzte! ruft die New York Times, und schlägt abermals zu, den Bürgermeister übers Knie gelegt. Ein unerfreulicher Anblick, ein quälendes Geräusch.
    Cresspahl fuhr mit seinem Kind über Blankenberg und Sternberg und Goldberg nach Süden, das letzte Stück von Karow nach Malchow auf einer Strecke, die es nach dem Kriege nicht mehr gab. Das Kind lernte: Blankenberg am See, Sternberg am See, Goldberg am See, Malchow am See, und noch heute ist der Name Karow im Gedächtnis eine trockene Stelle, weil da nichts war als Bahnhof und Straße und der Gasthof Habben. Sie aßen aber im Zug, Lisbeths Reisebrote, die der Mann für das Kind auf seinem Daumen in handliche Streifen schnitt. Wenn er dem Kind die Flasche mit Bier von Mahn & Ohlerich vors Gesicht hielt, den Gelenkverschluß aufschnappen ließ, tat sie angewidert und nahm dann doch einen vorsichtigen Schluck von dem brennend bitteren Zeug. Dann sahen beide aus wie sehr geübt darin, zusammen unterwegs zu sein. Einmal wurde Cresspahl gefragt, wohin er denn wolle mit »der Kleinen«, und er sah sie lange an. Dann sagte er bedauernd: Se will’t nich seggn, und die dumme Gesine glaubte, es sei wieder einmal ihr Stolz respektiert worden. Oft wurde Cresspahl nicht gefragt.
    Auf dem Friedhof von Malchow waren die Gräber von Heinrich und Berta Cresspahl so ordentlich abgedeckt wie der Auftraggeber nur verlangen konnte, und er machte den Besuch beim Gärtner gar nicht erst. Die beiden hatten einen gemeinsamen Stein, und Berta hatte ihren Namen und das Geburtsdatum gleich bei ihres Mannes Tod einmeißeln lassen, so daß ihr Todesjahr glänzend hervorgehoben war in dem trüben Licht.
    Dat is min Varre und Murre.
    Kœnen de dor nich rute?
    De sünd dor inspunnt föe alle Tiden, Gesine.
    Mudding secht de Dodn kåmen fri.
    Nich hier, Gesine. Nich bi uns.
    Ick glöw, ick war nicht dot.
    Dat’s recht, Gesine. Lat dat bliwn.
    Gesine Redebrecht hieß jetzt Zabel. Ihr Vater war 1916 im Krieg gefallen, ihr Großvater hatte die Tischlerei nicht durch die Inflation bringen können. 1924 war von ihrem Erbe weder Grundstück noch Haus übrig, und geheiratet hatte sie einen Mann, der den Rest in nicht vielen Jahren vertrunken hatte. Gesine Zabel war jetzt Bedienerin in einem Hotel am Malchower See, und weil Cresspahl das nicht wußte, hatte er da ein Zimmer genommen (drei Mark, mit Kinderbett vier Mark). Cresspahl ging gleich aus dem Speisesaal, als das Kind müde wurde und setzte sich mit seiner Pfeife an das offene Fenster, neben das schwarze Wasser, über das manchmal der Rest des Vollmondes wischte. Sonst schaukelte da wenig Licht. Gesine Zabel kam erst kurz vor Mitternacht. Sie war jetzt 49 Jahre alt. Das üppige blonde Haar war dünn geworden, mehr sandfarben, auch zu kurz für Zöpfe. Sie hatte jetzt achtzehn Jahre hart arbeiten müssen, und war dazu nicht erzogen. Ihre Augenwinkel waren ganz zerfältelt von vielen verschreckten Blicken. Beim Servieren hatte sie sich gehetzt benommen, wehrlos gereizt, jeweils vorweggenommene Entschuldigungen in der Miene. Sie war von dem Tag zu müde, als daß sie über eine halbe Stunde hinaus hätte bleiben können. Am Morgen stand auf dem Fensterbrett der Teller mit Apfel und Messer, die Ausrede für den Besuch bei einem Gast.
    Du süppst, Hinrich.
    Ick suup, Gesine.
    Peter Zabel wier nich schlecht.
    Ick hew nich hürt, dat he schlecht wier.
    Di süll’ck je nich næmn.
    Wi wiern je Kinner.
    Worüm büst du bloß nich in Inglant blewn, Hinrich!
    Min Fru wull dat so.
    Is se ne gode Fru?
    Se is ne gode Fru, Gesine.
    Is dat Kind ehrs? Se lett nich na di.
    Dat schleit na mi, glöw

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