Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
nichts, als daß das Abendbrot rasch lief, die großen Mädchen mußten das kleine versorgen, alle bekamen noch eine Hand übers Haar, an die Backe; dann aber ging Hilde zu ihrem Mann ins Wohnzimmer und war für den Rest der Nacht nicht zu haben.
Von weitem gehört, in großer Müdigkeit, ohne den Anblick war Hildes Stimme die der Mutter. Von ihr lernte das Cresspahlsche Kind, wie Lisbeth ihr Kind nicht mehr angeredet hatte. Mit langem Ton auf der zweiten Silbe des Vornamens, nicht befehlend oder anmahnend wie die Leute später taten, sondern zärtlich, von immer neuer Freude überrascht.
Hilde stand am Herd, und Alexander sah versonnen an ihr auf und ab. Als er sich die Sache genügend überlegt hatte, sagte er: Früher hab ich gemeint, du hast schöne Beine. Is aber gar nich wahr.
Hilde sah ihn fragend an, doch ein bißchen betrübt, und Alexander verordnete ein für alle Male: Lebendige Beine hast du!
Den beiden machte es nichts, daß die Kinder das anhörten. Übriggeblieben ist ein Gefühl von ansteckender Begeisterung, von dem Vergnügen, bei solchem Leben dabeizusein. (Die andere Seite war Eifersucht; die wurde den Kindern vorenthalten.)
Auch wenn Alexander sich ausführlich über die »Nazischweine« ausließ, sah Hilde ihm sorgfältig und einverstanden auf den Mund. Lisbeth war ängstlich und vorwurfsvoll dazwischengefahren. (Denk an das Kind, Heinrich Cresspahl!)
Alexandra und Gesine waren vom Arzt zu einer Impfung bestellt, und Hilde schrieb einen Entschuldigungsbrief: Am 21. März können meine Kinder nicht kommen, da feiern wir den Frühlingsanfang.
Meine Kinder. Gesine zweifelte gar nicht daran. Sie wußte wohl, daß sie Cresspahls Kind war und bei ihm leben mußte; das galt von innen. Von außen genommen war sie eins von Hildes Kindern.
Ob es nun der Anfang des Frühlings war oder der Geburtstag einer der beiden Katzen, solche Ereignisse wurden heftig gefeiert. Und wenn der Himmel mit drohendem Regen bezogen war, Hilde half doch dem Dienstmädchen Auguste Lampions im Garten aufziehen. Jedes Mal lud sie sich den Garten voll mit Kindern, ausgenommen die von Obersturmbannführer Bindeband, obwohl er sechs zu bieten hatte mit Namen wie Gerlinde und Sieglinde und Brunhilde und Kriemhild. Gespielt wurde Zuplinkern, Hänschen Piep, Musical Chairs, und Hilde schummelte ohne Hemmungen, wenn ein Kind in Gefahr war, zu oft zu verlieren. Wenn sie dem Kind mit den verbundenen Augen den Topf dichter unter den hilflos tastenden Stock schob, sah sie die anderen verschwörerisch an, und alle waren mit der Schmälerung des eigenen Gewinns einverstanden. Der Schriftsteller mag es nicht schreiben, und doch war es Hilde: schön von (gestrichen).
Dann wurden Alexandra und Gesine von Frau Bindeband zum Spielen eingeladen. Die Bindebandkinder trugen die Zöpfe bis zum Hintern. Sie waren in sackleinene Gewänder getan, in Schürzen aus Jute. Das Spielen war aber das Begehen eines heidnischen Osterfestes in einer Villa, die einem stettiner Juden gehört hatte. Die Perserteppiche, die Ölbilder, alles schien unversehrt erhalten. Zum schlechten Gewissen kam noch die Empfindung: Mein Gott was sind wir arm. Als sie nach Haus kamen, war Hilde nicht zornig, sondern enttäuscht. Von da an ließen die Kinder sich nicht mehr ins Haus der Bindebands locken.
Hilde hat ein Dienstmädchen verloren wegen eines Hitlerbildes. Frieda Lämmerhirt hieß sie, aus Berlin war sie, und sie hatte ein Foto Hitlers aus der Zeitung geschnitten. Sie bekam einen schweren Rüffel, und später noch einen von Alexander. Sie habe die Zeitung zerstört! Aber der Norddeutsche Beobachter war in diesem Haus noch nie aufbewahrt worden. Sie kündigte auf der Stelle, packte schweigend und zog ab mitsamt dem Hitlerbild, das sie so sorgsam an ihre Zimmerwand gepinnt hatte. Bindeband erfuhr dies noch über die Paepckes, und in der Folge weniger.
Im Heereszeugamt Stettin hatte Paepcke doch Leute gefunden, die er nicht zu den »Nazischweinen« rechnen mußte, oft brachte er drei vier mit ohne Ankündigung, das wurden lange Abende auch für die Kinder. Die Kinder mußten gar nicht beachtet werden, sie nahmen sich einfach die Lustigkeit der Erwachsenen an. Sie wußten, daß sie nicht unwillkommen waren. Alexandra setzte sich neben ihren ernsthaft dozierenden Vater (diesen Krieg verlieren wir auch; gelernt haben wir’s ja) und drückte so lange gegen ihn, bis er in einer erschütternden Pantomime umfiel, wie ein Nichtschwimmer aus großer Höhe in grundloses
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