Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
Vom Netzwerk:
Jordanien. Josua 6. Und der Bericht über die Zerstörung der Stadt ist Legende, das kannst du unsere Rote Anita fragen, die hat da ausgraben helfen, damit sie ein Doktor wird.
    – Jerichosirenen. Es ist mir ein Zufall zuviel.
    – Und was sollten die Leute in dem anderen Jerichow sagen, dem großen, bei Magdeburg?
    – Ich mag es nicht, wenn etwas so genau zusammenfällt. Also Jerichosirenen in Jerichow, nicht erfunden.
    – Nicht von mir. Und Cresspahl wußte obendrein, daß die Ju 87 Maschinengewehre auf den Flächen hatte und daß der Fernaufklärer DO 17 P früher, zu den Zeiten des spanischen Bürgerkriegs, DO 17 F geheißen hatte. Das konnte aus einem Gespräch herausfallen, an dem ein harmloser Handwerker aus der Stadt vorbeiging. Und es war nützlich, wenn er anbringen konnte, wo das Flugbenzin in der Erde versteckt war, das war in London schon ein Ziel auf der Karte.
    – Harmloser Handwerker! Einer, der in London gelebt hatte.
    – Und der einfach nickte zu der Frage, ob er nach der glanzvollen Auferstehung des deutschen Vaterlandes nicht mehr habe beiseite stehen wollen. Damit war er zuverlässig genug. Der Mann sah etwas langsam aus. Der war in England wohl nicht hochgekommen. Übrigens blieb seine Arbeit, was zählte. Und es war doch putzig, was er von London erzählte: In London geev dat Slåpsåls, dor leech man up de blote Ierd. Blot an’t Koppenn wier ein Tau spannt, dor læd man den Kopp up. Morgns würd dat Seil falln låtn. Dat wier dat Weckn: sagte er. Er hatte noch seinen Spaß dabei.
    – Oft ahne ich, daß ich etwas verstehe.
    – Sag mal: Kattdreier.
    – Caterer -?
    – Siehst du. Und Cresspahl mußte sich mit dem Flugplatz gar nicht begnügen. Da saßen im Försterkrug oder im Schützenhaus unverhofft Leute in Wehrmachtuniform, die gehörten nicht in die Gegend, und sie konnten es nicht lassen, mit dem Messer der Fallschirmjäger zu prahlen. Das war kurz vor der geplanten Offensive gegen England. Und so erfuhr er noch, daß die Fallschirmjäger Schulen in Stendal und in Wittstock hatten, daß ihr Tagessold 50 Pfennige betrug, daß aber ein Übungssprung ihnen 27 Reichsmark einbrachte, weswegen sie eben im Försterkrug Bier tranken und allem, was einen Rock anhatte, die Sache antrugen mit dem letzten Mal vorm Sterben. Cresspahl mußte es gar nicht allein machen. Erwin Plath war etwas neben sich selbst darüber, daß die Fußball-Nationalelf von Reichstrainer Sepp Herberger gegen die Ungarn antreten sollte, Sonntag der siebente April 1940 sollte das historische Datum sein; er rätselte aber auch darüber, warum in Lübeck-Travemünde am Ostpreussenkai das Motorschiff Hansestadt Danzig festgemacht hatte, jetzt grau gestrichen, aber doch unverkennbar vertraut aus den Tagen, da es noch im Ostseebäderverkehr gelaufen war statt im Dienst der Kriegsmarine. Die Danzig hatte auch in Rande vor Jerichow angelegt. Am Sonntag brüllten sie im berliner Olympiastadion über das heroische 2 : 2, am Abend legte in Travemünde die Hansestadt Danzig ab, im Bauch das 1. Bataillon des Infanterieregiments 308 von der 198. Infanteriedivision, die in der kaputten Č. S. R., im »Protektorat Böhmen und Mähren«, aufgestellt worden war, meist Schwaben und Sudetendeutsche, von denen viele die eigene Angliederung als den letzten kriegerischen Akt des Jahrhunderts erhofft hatten. Der Tag hatte angefangen mit Reif auf der Erde, dann war es immerhin bis zu neun Grad warmgeworden, und der Himmel blieb ohne Wolken. Es fing aber nicht der Frühling an, sondern die Besetzung Dänemarks. Das hatten die Landser nur vermuten können wie Cresspahl auch, denn die Orders wurden erst am 9. geöffnet, als die Danzig längst im Belt war; es war für London aber nicht zu späte Nachricht, welche Truppen auf Dänemark angesetzt worden waren, und reichte für die Gedächtnisnotiz, daß solche Sachen nicht nur in den Häfen von Kiel und Swinemünde angefangen wurden, sondern auch in dem von Lübeck.
    – Du meinst, auch in, oder bei, Swinemünde und Kiel gab es solche Leute, die gingen hin und verrieten ihr Land -?
    – Die verrieten die Nazis. Und wie an Cresspahl war nichts besonders an ihnen, nichts auffällig. Cresspahl war nicht in der Partei, gewiß; bei der Luftwaffe machte er sich eher einen weißen Fuß damit; denk an das Hakenkreuz aus Kugeleinschlägen im Kasino. Cresspahl hatte nicht wie Alexander Paepcke ein Blaupunktradio (mit magischem Auge), das die ausländischen Sender heranholen konnte, deren Abhören seit

Weitere Kostenlose Bücher