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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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hat über dem Spiel noch den Genuß, es Marie erklären zu können. Sie weiß, wie Baseball geregelt ist, sie hört ihm zu mit großen gehorsamen Augen, seinem deutenden Finger nachspähend. Er beschreibt den home run, den Schlag, nach dem der Schläger sämtliche Male in einem Zug umlaufen kann. De Rosny benutzt einen kreisenden Finger, hat auch verschiedentlich Vergleiche mit einem Ballett vorgetragen.
    Wie, wir wissen nicht, wozu der grüne Schirm hinter der Fahne aufgehängt ist? Um dem Fänger Blendung beim Blick auf den Werfer zu ersparen.
    Dann verwandelt de Rosny sich aus dem Mann der Welt in den kleinen Jungen, der angestrengt geradeaus sieht, während er von Willie Mays erzählt, dem er von Kindheit an zugesehen hat, jeweils mit klopfendem Herzen. Mit neunzehn Jahren ging jener Willie Mays noch nach Harlem nach dem Spiel. Der selbe, der wirkliche Willie, der unten auf dem Spielfeld entrückt in Heiligkeit den Schläger schaukelt! Spielte Baseball mit den Kindern, mit einem Besenstiel. Stickball.
    Wo der Chef lebt, weiß man nicht, daß Willie Mays bei den radikalen Negern als Verräter gilt. Er hat sich geweigert, für den Boykott der Olympischen Spiele durch Negersportler anzutreten.
    Nie hat de Rosny mit Willie gesprochen, ihn auch nur aus der Nähe gesehen, und doch spricht er von ihm wie von einem Freund, dessen Leiden die eigenen sind, und immer ist er der Überlegene, denn de Rosny vermag im Baseball nicht wofür Willie Mays aber berühmt ist. Demnach ist Willie jetzt ruhiger geworden, aber auch trauriger. Ein Wort, das es nicht gibt, wo de Rosnys Orders hinfassen, für den bewunderten Neger mit dem Schläger gilt es.
    Nachdem de Rosny die betrüblichen Ehegeschichten Willies angedeutet hat, entschließt er sich zu etwas. Es ist unrentabel, es bringt nichts ein, es verrät Gefühle, und soll doch sein. In festem Ton, trotzig verspricht de Rosny dem fernen, zuschlagenden, wild rennenden Freund: Wenn er mal nicht mehr kann -. Er kriegt einen Posten in unserer Zweigstelle in San Francisco!
    Unermüdlich prägen die Fluggesellschaften den Lärmleidenden ihre Symbole ein, vor allem T. W. A. und Branniff mit den Ostereierfarben. Neben den 727 wirken die niedriger fliegenden Propellermaschinen altertümlich.
    Willie fängt im Außenfeld den Ball mit den Händen vor dem Bauch, das ist sein Markenzeichen: erklärt de Rosny ernst für Marie, und sie prägt es sich ein mit gelehrigem Nicken. Sieht sie nicht, daß jener Gefährte der de Rosnyschen Seele soeben viel höher gefangen hat? Gilt an der Wirklichkeit nur, was de Rosny will?
    – Balk! Will doch einer über die Sperrlinie werfen und schafft es nicht. - Das passiert einmal in fünfzig Jahren! heute wird Ihnen aber auch alles geboten.
    Der Schläger kommt um ein Mal voran, der auf dem dritten kann für umsonst nach Hause gehen. Mrs. Cresspahl ist nicht die einzige, die sich fortwünscht. Vorn sitzen zwei Mädchen, die abwechselnd eins von zwei selbstgemachten Plakaten hochhalten, in einer lahmen Art.
    Es ereignet sich etwas Historisches. Der Trainer wechselt den Werfer aus, denn er traut ihm nicht zu, mit drei besetzten Malen fertig zu werden. Feierlich wird der neue Werfer auf offenem Auto angefahren, wie einem Gladiator wird ihm der Umhang abgenommen.
    Am Anfang der 7. Runde steht man auf für seine Mannschaft, de Rosny für die Giants von San Francisco, also Mrs. Cresspahl für San Francisco, und begreift sich nicht. Mit dem Chef beim Baseball. Ringsum bleiben sie sitzen.
    – Willie bringt sie alle nach Hause!
    Gegen Ende der 7. Runde stehen die Anhänger New Yorks auf. Das sind etwa 30 000, es ist nicht einsam um sie, und de Rosny muß das Kinn etwas anheben.
    Dann kommt Arthur mit dem Gotte Rutherford, einem weißhaarigen, aufrechten Greise, der keinen Blick hat für das Spielfeld, ein Golfer. Die in diesem Stadion sitzen, lesen nicht den Finanzteil der New York Times, und versäumen, daß ein Herzog im Reich des Dollars, ein Kurfürst geradezu, unter ihnen weilt. Die beiden Herren verziehen sich in eine leere rückwärtige Loge, sehen nicht einmal noch auf den strahlenden Rasen. Beide setzen Brillen auf und lesen von kleinen Zetteln ab, etwa zwanzig Minuten lang. Dann hebt de Rosny den Arm, und Arthur wird mit dem hohen Gast zum Flugzeug nach Los Angeles beordert. Jedoch war das Gespräch zufriedenstellend, denn de Rosny will nunmehr das Spiel nicht zu Ende ansehen und es nur noch in einem Taxiradio hören. Das Geschäft war sehr ergiebig, denn

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