Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
fünf Jahren?
Es versteht sich von selbst. Das geht nicht.
Und mit euch geht es nicht!
So bist du uns recht, so aufgeregt, Gesine. Es ist doch nicht ein gewöhnlicher Ehestreit.
Ich möcht nicht mal diesen.
Du möchtest das nicht, du läßt dich nicht ohrfeigen auf einer Geburtstagsfeier, vor geladenen Gästen, an festlicher Tafel mit dem Familiensilber, bei Kerzenlicht, und alles, weil du die Politik des Präsidenten gegen Viet Nam mörderisch genannt hast?
Von einem F. F. Fleury aus Boston laß ich mich nicht ohrfeigen.
Du bist neidisch, Gesine.
Geniert, schon.
Na, wenigstens.
Wenn sie ihren Mann bekämpfen will, sie muß ja nicht den Anlaß verwenden. Sie kann ihn verkleiden.
Hör auf, Gesine. Annie Killainen unterschiebst du, daß sie ihren Streit nicht austrägt, wo er herkommt -
Sie ist den fünften Tag in New York, und ist immer noch nicht hingegangen, wo die Studenten Geld sammeln für die Beendigung des Krieges, wo die Flugblätter gedruckt oder verteilt werden.
- aber bei uns gibt es keinen Zweifel. »Papenbrock wollte nicht dem Juden Semig aus dem Land helfen und begnügte sich damit, daß er nun auch noch selber von sich wenig hielt.« Punktum. Kein Wort über den Rest.
War es so?
Selbst wenn es stimmt, du erfindest das doch!
Das mache ich zurecht, damit es zu verstehen ist.
Dir soll man glauben. Einer Lebenden, einer Annie Killainen mißtraust du.
Ich möchte gern anders können.
Und kannst nicht, weil du dich kennst.
Nicht, weil ich mich habe lügen merken, ohne es zu wollen. Weil ich meinem Vertrauen nicht traue.
Und nun soll Annie weitermachen, was sie angefangen hat, nur damit sie zu deiner Vorstellung von Konsequenz paßt? Was du selbst nicht hast an Folgerichtigkeit, sie soll es leben?
Ich mach ihr keine Vorschriften.
Und doch sitzt du da mit Unbehagen in der leeren Wohnung und wartest, daß sie zurückkkommt und hat nichts gegen den Krieg getan?
Ja.
Und sie muß nur die Tür öffnen, die Kinder vor sich wie eine Glucke die Küken, schön gefärbt wie sie sein wird von der Kälte, der Erinnerung an das finnische Land, redelustig angefüllt mit den Begegnungen unterwegs, die sich ihr alle in freundliche Geschichten, in Gelegenheiten zum Lachen verwandeln - da bist du nicht neidisch?
Dann weiß ich, warum ich sie gut vertrage.
Und nimmst dir doch übel, daß du in ihre Stimmung, in die Spiele, ins Erzählen, in den Spaß des großen gemeinschaftlichen Essens rutschst, als wär es gegen deinen Willen?
Es ist mir nicht wohl dabei.
Du tust uns leid, Gesine.
Ihr werdet es dahin nicht bringen, daß ich mir selbst leid tu.
Du wirst das bereuen, Gesine.
13. Januar, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry
Der Tag der South Ferry gilt als wahrgenommen, wenn Marie mittags die Abfahrt zur Battery ankündigt.
Marie hatte im Sinn, ihre Stadt New York den Kindern aus Vermont ins Licht zu stellen; überdies wollte sie diesen ihren Besitz mit ihnen teilen, die Fähre nach Staten Island eingeschlossen. Sie holte zwar nicht Rebecca Ferwalter dazu,
– Wie oft vergißt du noch, Gesine, daß sie jüdisch ist?
– Eine Fahrt im Hafen ist doch keine Reise, Marie.
– Lehr du mich orthodoxe Juden kennen! Ferwalters!
wohl aber Pamela Blumenroth, auch ein Kind jüdischer Eltern, die ohne Bedenken an einem Sabbat reisen würden, wenn auch lieber mit der Fluggesellschaft Israels, hielte die ihre Maschinen nicht am Boden fest an diesem Tag. Pamela wie Marie orderten die Erwachsenen mit aus der Wohnung, und Annie wollte gern eine Weile weggehen von dem Telefon, an dem wir dem mittlerweile kleinlauten Dr. Fleury sagen sollen: sie ist nicht da. Nachher waren Pamela und Marie doch die Reiseleiter, die die auswärtigen Kinder von den krummen Bahnsteigen unter dem Fährhafen nach oben zu den Rolltreppen führten, beide sehr groß inmitten ihrer Schützlinge, die Kleinen an der Hand, achtsam, umsichtig, die reinen Eltern. An Pamela mit ihren elf Jahren ist oft zu ahnen, wie sie sich mit neunzehn betragen wird, aufmerksam bis zur Zärtlichkeit, bei aller Zutraulichkeit stolz, und sie wird ihre eigenen Kinder so streng und freundlich unter dem Drehkreuz hindurchdrücken wie jetzt Annina S., damit sie gleich lernen, was sie einmal getan haben. F. F. junior war verbittert, daß er sich nach dem Tarif noch bücken sollte, und stand so lange finster abseits, bis Marie ihm fünf Cent gab und er noch einmal in die Wartehalle einrücken konnte, aufrecht, mit Gewalt gegen den Knüppel, als wär er
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