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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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was ich wollte. Ich hatte gewünscht, Sie würden meiner Frau hier behilflich sein.
    – Ihr Auskünfte geben?
    – Und was man so für Freunde tut, Mrs. Cresspahl.
    Später am Abend sagte Annie, die geborene Killainen: Jetzt hast du binnen drei Tagen schon den zweiten Klienten. Ich kann das verstehen. Du mußt schon auf der Schule so gewesen sein.
    Dann wollte sie Mrs. Cresspahl das Gegenteil nicht glauben. Was einem Menschen anzusehen sei, dafür sei er verantwortlich.

11. Januar, 1968 Donnerstag
    Tief im ersten Blatt, neben dem fortgesetzten Bericht über die Kältetoten (damit wir ihn auch glauben), bringt uns die New York Times eine Aufnahme aus dem Hafen, einen stämmigen Schleppdampfer, winzig in dem dichten Feld aus Eisblöcken, die gestern nachmittag den Hudson hinuntergeschwommen sind. Das Wasser ist so voll Gift, da kann Einer schon an wenigen Schlucken zuviel sterben, dazu braucht es nicht die Kälte.
    Als Cresspahl den Hof hinter der jerichower Kirche übernahm, war er zum Ziegeleiweg hin nahezu offen gewesen; nun war er längst geschlossen.
    Die Bauern vor ihm hatten eine Einfahrt in der Mitte gehabt, um links an die offene Remise, rechts an Jaucheteich, Misthaufen und Stalltüren zu kommen; Cresspahl hatte sie aufgegraben und mit schnellwachsenden Büschen zugestellt. Auch die löcherige Holunderreihe war nun mit Flieder durchpflanzt, vom Ahorn an der Ecke bis zum Nebenfahrweg, den Cresspahl wie eine Straße ausgebaut hatte. Das war für den Durchblick offen, aber versperrt durch ein Tor aus Querbrettern, wenn auch nur mit einer Klinke, und wer durch die Büsche wollte, fand mitten in Ast und Blatt einen Zaun aus Maschendraht, mit Stacheln obenauf. Er hatte alles wild wachsen lassen, und wer von dem Haus dahinter nicht wußte, ging den Weg nicht weiter, da er hinter dem Ziegelkasten in Sand auslief zu nichts als Feldern. Das war kein Anwesen mehr, aus dem ein kleines Kind auf die Autostraße sich verlaufen konnte; dem kam auch kein Geflügel weg. Erst als Cresspahl dem Tor ein Schloß anschlug, im Sommer 1937, und Lisbeth kaum noch ihren Fuß in die Stadt setzte, kam in Jerichow das Gerede von dem Gefängnis auf, in dem er seine Frau hielt, obwohl die Klinke nur nachts verriegelt war. Tagsüber war sie zu bewegen, nur daß sie mit einem Knacken aushakte, daß es zum Erschrecken war. Wie er das nun wieder angestellt hatte. Und auch wenn Lärm in der Werkstatt war, kam der ungebetene Besucher bis zur dritten Tür, und aus der vierten trat Paap oder Cresspahl oder sonst kräftige Leute, die einen Hund nicht brauchten. Nun erkläre das mal, daß du in die Werkstatt wolltest, und bist nicht durch die Tür im Scheunengiebel getreten, wo das Schild hängt. Bis zur Tür des Wohnhauses war kein Hinkommen, und es hätte kaum genutzt, da sie jetzt beständig verschlossen war. Wen Cresspahl zu Lisbeth durchließ, den brachte Heine Klaproth zu ihr; die anderen mußten bei ihm stehenbleiben, mit Blick auf nichts als die zugezogenen Fenster, den kahlen Hof, den kleinen Rasenplatz für das Kind, bis Einem schwindlig werden konnte von dem Geruch der frisch geschnittenen Holzstapel. Und Cresspahl, dieser Engländer, stand so täuschend da wie ein harmloser Handwerker, verschwitzt in seinem bestäubten Arbeitszeug, den Nacken krumm, und nahm unverhofft genau den Kopf hoch und traf den Blick mit seinen unverhofft harten Augen, die in der Erinnerung bloß wässerig blau gewesen waren. Und wer dann lieber bald vom Hof ging, er hatte nicht einmal etwas zum Erzählen mitbekommen.
    Es kam nicht nur die Verwandtschaft von Warning oder Hagemeister und wollte Lisbeth ins Gewissen reden. Da erschien Avenarius Kollmorgen und pochte mit dem Krückstock an die Werkstattür und wurde nicht fertig damit, sich eingebildete Fusselfäden von den breiten Schultern zu klopfen, während er inmitten der laufenden Maschinen vortrug, daß es einer als Zeugin benannten Person freistehe, auszusagen oder nicht. Den nahm Cresspahl mit ins Wohnhaus, an seinen Arbeitstisch, und als Avenarius eine halbe Stunde später am Tor seinen Abschied genommen hatte, schlug er so unbeherrscht ins staubige Zaunlaub, daß die Hühner wild aus ihren Sandnestern aufstoben. Papenbrock durfte allein zu seiner Tochter weitergehen und mochte sich auf dem Rückweg in der Werkstatt nicht zeigen. Als Cresspahl doch in den Fahrweg trat, sah der Alte benommen aus. Er hatte mit seinem Lieblingskind versucht, was bei Louise regelmäßig geholfen hatte, und Lisbeth hatte

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