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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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dabei. Nein, Mr. Guarani hat seine Denkhaltung eingenommen, die linke Hand hinter hochgerecktem Kopf, die Augen verschleiert von unerbittlichem Zergliedern und Sortieren, die rechte Hand wie bereit zum Aufschreiben des Ergebnisses.
    – Sie sehen das zu harmlos, Mrs. Cresspahl: sagt er nachsichtig.
    – Harmlos finde ich es nun nicht, David.
    – Genau. Hören Sie zu? Genau. Wenn diese Bilder zu genau diesem Zeitpunkt, in dieser Aufmachung veröffentlicht werden, dann bedeutet es etwas!
    – Eine Steigerung der Auflage.
    – Nein. Ja. Aber wenn mitten in Saigon tote Government Issues auf die Ladeklappe eines Schützenpanzers gepackt werden, übereinander und ineinander verhakt, daß die Beine und Arme nur so überstehen, mit hintenüberhängendem Kopf, auf dem das Blut schon schwarz ist wie Tinte -
    – Bedeutet das mehr, als es ist?
    – Das will ich Ihnen sagen, Mrs. Cresspahl! Daß alles Geld, das hinter Time steht, an den Erfolgsparolen der Regierung zweifelt!
    – Daß die Tet-Offensive ein Erfolg war?
    – Und eben nicht nur ein psychologischer, wie der Generalstab sagt! Daß der Krieg nicht zu gewinnen ist, Mrs. Cresspahl!
    – Das würde doch eine Unterstützung für Kennedy bedeuten. Damit könnte er kandidieren.
    – Wieso Kennedy. Unserer? Robert Francis? Bugs Bunny of New York?
    – Der Senator von New York. Er hat gestern in Chicago »jede Aussicht« auf einen militärischen Sieg abgestritten.
    – Wußte ich nicht.
    – New York Times, erste Seite. Text Seite 12.
    – Ich sollte doch ab und zu den politischen Teil lesen: sagt Mr. Guarani, der Finanzexperte, und verabschiedet sich versonnen, mit der Bemerkung, wie sonderbar reichlicher und schneller doch das Denken laufe, wenn man dabei spreche.
     
    – Wenn so etwas noch einmal passiert -! sagt Mr. Shuldiner in drohendem Ton. Heute kümmert er sich noch weniger darum, ob Gustafssons Fischsalat ihm schmeckt oder nicht. Er kann eine hoch aufgefüllte Gabel minutenlang vor sich halten im Nachdenken, ihre Ladung von verschiedenen Blickwinkeln betrachten, bis ihm endlich der nächste Satz vollständig eingefallen ist.
    – Nützlich finde ich’s ja: sagt er.
    – Entschuldigung, Mr. Shuldiner.
    – Na daß so ein armer Hund von Government Issue noch nicht einmal gemerkt hat, daß er tot ist, so fest behält er das Gewehr bei sich, und die zwei Kameraden ziehen ihn an den Beinen zum Schützenpanzerwagen, ohne ihn umzudrehen, so daß er mit dem Gesicht durch den Sand und Schutt schleift, und das mitten in Saigon, am Flughafen Tansonnhut, den doch auch zivile Linien anfliegen. Sie brauchen nur ein Visum, Mrs. Cresspahl, nun steigen Sie aus dem Flugzeug -
    – Gewiß, Mr. Shuldiner.
    – Dieser Mr. Guarani, Ihr Kollege, von dem Sie erzählt haben, wär der nicht dran für eine Tour in Viet Nam?
    – Halbwaise. Einzelkind.
    – Ha!
    – Waren Sie nicht gern bei der Armee, Mr. Shuldiner?
    – Das weiß ich erst jetzt, wie gern, Mrs. Cresspahl. Weil ich meine Zeit im Frieden abgerissen habe. Sagen wir, im halben Frieden.
    – Und wenn das nun noch einmal passiert, Mr. Shuldiner!
    – Ach so. Entschuldigen Sie. Es gibt Tage, da bin ich durcheinander, besonders seit der Verlobung.
    – Vielleicht war es nicht wichtig.
    – Doch. Wissen Sie was ich dann mache?
    – Nein.
    – Das ist es, was ich das Europäische an Ihnen nenne, Mrs. Cresspahl. Daß Sie so auf das Wort achten. Und lustig ist es auch.
    – Sie finden es nützlich.
    – Ja. Wer jetzt den Wehrdienst verweigern will, nimmt die heutige Ausgabe der Zeit mit ins Gericht und beantragt ihre Aufnahme als Beweisstück Nummer Eins der Verteidigung. Und wenn so etwas noch einmal passiert, darauf können Sie sich verlassen, dann verkaufe ich die Kriegsanleihe!
    – Sie kaufen Kriegsanleihe, Mr. Shuldiner?
    – Nein. Meine Braut kriegt die Hälfte der Mitgift in Kriegsanleihe. Meine Schwiegereltern sind sehr patriotische Juden.
     
    – Ich mach mir nichts draus: sagt Sam. Sein Restaurant ist inzwischen fast leer, und er hat Zeit, sich zu unterhalten mit einem fetten sauertöpfischen Typ in Lederjacke, mit dem er befreundet scheint, so vertraulich behandeln die einander. Die neue Nummer von Time liegt unter dem Ellenbogen des Gastes, bei den Farbseiten aufgeschlagen, schon erheblich zerknautscht. Sam findet es nicht recht, daß John Stewart einen angeschossenen Government Issue, einen schwarzen Militärpolizisten von bulliger Statur, in affenähnlichem Knien abgelichtet hat, dumpf unter seinem rosa durchbluteten

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