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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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gerollt; der hatte zu viele betrunkene Abende Zeit gehabt, sich Lisbeths Reden für den Gebrauch an Cresspahl zurechtzudenken. Das war jetzt acht Wochen her, und wie redete er Cresspahl an? Alter Schwerenöter: hieß das, wenn er auch sagte: Na, alter Schwede? In diesem Winkel fiel das Wunderliche nicht als wunderlich auf; Cresspahl kannte von Mecklenburg am besten Malchow, da war es so nicht gewesen.
    Es war eigentlich nur, daß Lisbeth es zu ernst mit der Kirche nahm, und daß Einer mit beidem nicht über die Jahre kam, mit den Lehren der Kirche und mit den Anforderungen der Nazis. Sie hatte das als Kind so gelernt, in einem Haus wie dem von Papenbrock konnte ein Kind lange damit großwerden.
    Er fragte sie einmal nach dem Hausgeistlichen, den Louise Papenbrock sich zu den Gutspächterzeiten bei Crivitz und später auch noch auf Vietsen gehalten hatte. Er fing es nebenbei an, er fragte wie nach etwas Vergessenem. Ob sie sich an den erinnere. Und Lisbeth, Lisbeth lachte, wandte sich halb um vom Herd und tat noch einen halben Schritt weiter, bis sie ihm bequem über Stirn und Schläfe streichen konnte, wie einem Kind, das getröstet werden sollte. Wenn man ihr glaubte, wußte sie von jenem Predigtamtskandidaten nicht einmal mehr den Namen. Sie lachte ganz unbedenklich, sah ihm vergnügt und offen in die Augen, auch so, als habe sie heimlich etwas erraten, von dem er nicht einmal wußte, ob er es versteckt hatte. Es gab solche Verständigungen immer noch, sie mußten dabei nicht einmal allein sein; er war dann so zufrieden, wenigstens mit ihr zu leben, er verlangte gar nicht noch, daß auch er glücklich sein sollte.
    Saß abends in der Küche und machte sich betrunken, bis er nur noch Müdigkeit merkte. Mußte in der Speisekammer gar nicht suchen, der Richtenberger stand vorn auf dem Brett wie bereitgestellt.
    Es war also Louise Papenbrock, die mit ihrer blind frommen Erziehung bei keinem ihrer Kinder durchgekommen war, nur bei diesem. Er konnte Lisbeth nicht die Mutter verbieten.
    Er konnte Lisbeth zwingen, wegzugehen von Jerichow, vielleicht nicht ganz übers Wasser, nur bis in die Niederlande. Aber sie war mit der fremden Kirche in Richmond nicht zurechtgekommen, das würde mit der holländischen kaum anders sein. Und er mochte sie nicht zwingen.
    Er suchte auch Schuld bei sich und wollte 1937 endlich einsehen, daß er nicht ein Mädchen mit vornehmer Bildung und Erziehung hätte heiraten dürfen, wenn er selber nur die Volksschule, sein Handwerk und das Lernen auf den Straßen mitzubringen hatte; und er hörte Lisbeths Stimme von 1931, die sagte: Ich will dich nicht abfragen; ich will mit dir leben, mit dir und Kindern so Stücker vier. Du tust deins, ich will meins wohl nicht versäumen.
    Manchmal war er so weit, er hätte Pastor Brüshaver aus dem Schlaf klopfen mögen und ihn zur Rede stellen wegen dieses Paulus, der angeblich geglaubt hatte, es tue dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. Brüshaver mit seinen drei neuen Kindern. Am Tag war von solchen Einfällen übrig, daß er an Brüshaver vorüberfuhr, als sei der nicht zu sehen, und nur gelegentlich einen Finger an die Mütze legte, im letzten Augenblick, knurrig; an Sonntagen saß er mit übergeschlagenen Armen neben Lisbeth auf der Kirchbank und wunderte sich über einen kräftigen, nicht einmal engstirnigen Mann, der sein Geld verdienen mochte mit dem Auslegen eines Buches, in dem solche Vorschriften für Mann und Weib gemacht wurden. Cresspahl hatte nachgesehen, jener Paulus hatte das in einem offenen Brief aufgeschrieben.
    Und oft kamen Zeiten, er konnte Lisbeths eigentümliche Zustände fast vergessen. Es waren Morgen, an denen sie ihn nicht unaufmerksam weckte, mit matter Stimme, sondern fröhlich, mit Spässen, sogar aus der englischen Zeit; Tage, an denen sie bis zum Abend durchhielt mit gleichmäßigem Arbeiten, klaglosem Betragen, obendrein einer Bereitschaft zu Schabernack, die die anfangs mißtrauische Runde am Mittagstisch fast bis zum Übermut erleichterte; das konnte Monate anhalten.
    Geheuer war sie ihm in dieser Stimmung nicht immer, so sehr er sie so sich wünschte. Er hatte ihr von einer Mrs. Elizabeth Trowbridge noch in Richmond erzählt; sie hatte ihm keine Beichte abgenommen, nur ohne Aufregung zugehört und am Ende genickt wie über etwas Erwartetes, als sei sie befriedigt. In Deutschland hatte er anstücken müssen und ankündigen, daß von dem in England verwahrten Geld monatlich etwas abgehen werde für einen Jungen, den

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