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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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inzwischen Amt in einer beschlagnahmten Villa in der Landeshauptstadt, und es ging die Rede, er habe neben seiner braunen, der »Amtswalter«-Uniform, noch eine andere, die schwarze der Geheimpolizei. Noch ein Schwager.
    Von dem sagte Cresspahl: Ick kenn em nich; dat’s nich föe uns; föe mi wier de dot.
    Es war unnötig; am Tage von Horsts Hochzeit in Kröpelin hatte Cresspahl Fenster eingesetzt in Jerichow Nord. Wenn je, war Cresspahl nicht im Lübecker Hof zu treffen, wo der Adel hinging, noch in der Bahnhofswirtschaft, wo die Nazis soffen, allenfalls in Peter Wulffs Krug, den Ortsgruppenleiter Jansen ein sozialdemokratisches Rattennest genannt hatte. Der besorgte sich seine Arbeit allein, der brauchte und nahm dazu nicht den alten Papenbrock. Bißchen still der Mann. Mitten im Gespräch stellt der seine Augen auf Fernsicht und ist nicht mehr da. Ein Engländer.
    Sie wußten sehr wohl, daß er erst seit 1922 in den Niederlanden und später in England gearbeitet hatte, daß er in einem Dorf an der Müritz geboren war und in Malchow zum Meister gesprochen; dem selben Malchow am See, der Tuchmacherstadt, aus der der Gymnasiallehrer Kliefoth kam, der erst nach Cresspahl in Jerichow zugezogen war. Den nannten sie Klattenpüker, nach den Kletten, die die Malchower aus der Schafwolle pusseln mußten, bevor sie ihr Tuch anfangen konnten; Cresspahl war für sie der aus England, nicht im bösen, manchmal im Scherz, bei Gelegenheit vertraulich. (Der alles über die Engländer wußte. Für den Fall, daß die Engländer den Krieg gewinnen würden.)
    Daran traf zu, daß er die englischen Sachen in der Regel wußte, aus dem selben Lübecker General-Anzeiger, den sie abonniert hatten; offenbar las er das länger.
    Daran stimmte, daß er sich mit einer Art Verachtung, wenn nicht Wut, ausgelassen hatte über die Feigheit der Engländer, die die Besetzung des Rheinlandes durch die deutsche Wehrmacht zugelassen hatten. Er genierte sich wohl für die Engländer.
    Davon war wahr, daß er die Besuche des Lordsiegelbewahrers Lord Londonderry, von Lloyd George, des Marquess of Lothian als Kindereien abtat. Offenbar wünschte er sich von den Engländern etwas mehr, oder anderes, als daß sie mit ihrer Queen Mary in vier Tagen über den Atlantik fuhren, eines blauen Bandes wegen. War dem Mann doch nicht übelzunehmen.
    Davon war richtig, daß das Gesetz über den Neubau des Deutschen Reiches ihm den Paß der Republik ungültig gemacht hatte. Daß er zwei Jahre lang Zeit gehabt hatte, auf das Landratsamt in Gneez zu gehen und einen Paß mit dem Hakenkreuz zu beantragen. Daß er das nicht getan hatte.
    Dazu paßte noch, daß er dem Juden Semig nicht Ruhe ließ, bis der nach Gneez fuhr und zurückkam mit einem Paß für sich und seine Frau.
    Daran mochte sein, daß Cresspahl wohl lieber gehört hätte, sie redeten ihn anders an.
    Na, du Klattenpüker?

31. Dezember, 1967 Sonntag
    Schmorbraten. Das Fleisch von einem gut abgelegenen Keulenstück (Rindfleisch) spickt man rings mit Speckstreifen, reibt es mit Salz und Nelkenpfeffer ein …
    Ein Leben in der Ehe, von mir wird Marie es nicht lernen.
    Sie bekommt davon Vorführungen; das ist noch nicht einmal, wie es wäre. Das sind die Besuche von D. E., genannt Mr. Erichson, professor of physics & chemistry, Berater der hiesigen Luftwaffe in Fragen der Funkmeßtechnik, Gast und Gastgeber dieser Familie Cresspahl seit fünfeinhalb Jahren und längst nicht der Mann im Hause, für den er den Nachbarn gilt, weil sie ihn kommen sehen mit aufwendig verpackten Mitbringseln, mit einem Koffer von Reisen, mit langjährigen Redensarten, solange er in der offenen Tür ist.
    Hinter der Tür, er mag sich bei uns mit viel Gewöhnung betragen, fast blickloser Ortskenntnis, eher beiläufigen Zärtlichkeiten, die Marie kaum auffallen. Jedoch wird er auch heute seinen Koffer nicht gänzlich ausräumen, und als er ihn in das Südzimmer beiseite stellen wollte, hat er sich blickweise vergewissert, daß ihm der Eintritt zugestanden war. Er kommt nicht auf lange, und wird über den morgigen Abend hinaus nicht einmal bleiben, wenn Marie ihn darum bäte. Sie wäre imstande.
    Auch ihr ist es recht so. Ihr gefällt es, wie er gastweise am Tisch zwischen den beiden Fenstern sitzt und sich nach ihrer Schule erkundigt, weil er davon wissen will, nicht aus Vormundspflicht. Sie hat mit ihm reichlich verabredet, ob es nun um ungläubige Blicke schräg von unten geht oder um Lügeversuche bei steifem Gesicht oder darum, daß

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