Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
Vom Netzwerk:
verhängt.
    Karl-August Grabs aus Grabow, 64 Jahre alt, Viehhändler, sagte Ende 1943 vor anderen, der Krieg sei für Deutschland verloren. Deswegen stand er am 26. Februar 1944 vor dem 1. Senat des Volksgerichtshofes und wurde zum Tode verurteilt.
    Am 21. März 1944 wurde um 11 Uhr der polnische Zwangsarbeiter Czesław Nowalkowski, 23 Jahre alt, auf der Feldmark des Dorfes Stove bei Wismar erhängt.
    Otto Voth, 41 Jahre alt, Bauer in Zepelin, Kreis Güstrow, wurde am 29. März 1944 von der Gestapo verhaftet, weil er die Niederlage der Deutschen für nicht mehr aufhaltbar erklärt hatte. Am 25. Januar 1945 wurde eine Zuchthausstrafe von 5 Jahren gegen ihn erkannt, zu verbüßen in Dreibergen-Bützow.
    Karl Willführ aus Eldena, Binnenschiffer, dienstverpflichtet ins Sprengstoffwerk (Dynamit A. G.) Dömitz hatte gegen die Mißhandlungen sowjetischer Kriegsgefangener protestiert. Er wurde im September 1943 von der Gestapo verhaftet, 1944 zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt und am 25. Januar 1945 im Zuchthaus Gollnow in Pommern ermordet.
    Ella Kähne aus Beckentin bei Grabow gab im Jahr 1944 einem sowjetischen Kriegsgefangenen Gummilösung, damit er seine Stiefel flicken konnte. Ein Jahr Gefängnis.
    Am 30. November 1944 wurde der Arbeiter Josef Molka, aus Polen gebürtig, seit 1929 in Deutschland, zusammen mit seinen drei Söhnen verhaftet, weil er den Kriegsgefangenen auf Gut Mörslow bei Schwerin zu essen und Nachrichten über die Frontlage gegeben hatte. Belastend wurde fernerhin angerechnet, daß er seinen Kindern eingeschärft hatte, nicht in den Krieg zu gehen, um sich totschießen zu lassen. Er wurde am 15. Januar 1945 zum Tode verurteilt und am 6. Februar 1945 in Dreibergen-Bützow ums Leben gebracht.
    In Ziebühl bei Bützow trat August Schlee, Landarbeiter, für die kampflose Übergabe seines Dorfes an die Sowjets ein. Am 2. Mai 1945 erschoß ihn ein Kommando S. S.
    Marianne Grunthal aus Zehdenick, 49 Jahre alt, Lehrerin, hörte vom Tode Hitlers und rief aus: Gott sei Dank, dann ist der furchtbare Krieg endlich zu Ende. Sie wurde am 2. Mai 1945 auf dem Platz vor dem Bahnhof von Schwerin an einer Laterne aufgehängt. Der Platz heißt heute nach ihr.
    Der Hinrichtungskeller in den Haftanstalten Dreibergen-Bützow wird heute als Museum gehalten.
    Das war ein geweißter Keller. Hinter einem Deckenbogen war eine Stahlschiene vor der Rückwand eingezogen. Daran hingen drei Haken. Unter den Haken stehen drei niedrige Hocker. An der Decke laufen zwei Leinen, daran können zwei Vorhänge so gezogen werden, daß drei getrennte Sterbekabinen entstehen. Vor dem Eingangsbogen sind links und rechts je ein dunkler Vorhangschal angebracht. Sie ließen sich so ziehen, daß die Opfer in einen schmalen und finsteren Kanal gingen und glauben konnten, neben ihnen hänge noch Keiner am Haken.
    Ich kann Cresspahl träumen an diesen Ort.

3. April, 1968 Mittwoch
    – Die Linie nach Flushing wird nicht bedient! sagt es unter dem Times Square aus den Lautsprechern, die nicht zu sehen sind, und die Fahrgäste stehen zu Fünfen tief auf den Bahnsteigen der Pendellinie zum Bahnhof Grand Central. Heute werden viele Schreibtische um die Dritte und Lexington Avenue zu spät besetzt sein. Die dreifach gefaltete New York Times läßt sich im Gedränge verwenden als schützender Knüppel.
    In der Zeitung ist ein Foto von Dr. Jozef Brestanski, dem Stellvertretenden Präsidenten des Obersten Gerichtshofes in der Č. S. S. R. Er hat ein Gesetz über die Wiedergutmachung für Opfer der stalinistischen Säuberungen entwerfen sollen, und die slowakische Presse zweifelte an seiner Eignung, nachdem er 1955 in Bratislava an solchen gefälschten Prozessen mitgewirkt habe. Vor fünf Tagen war er verschwunden, dann hing er ungeschickt im Wald von Babice mit einem Strick um den Hals.
    Präsident Johnson, der versprochen hat, nur noch einen kleinen Teil Nord-Viet Nams an der entmilitarisierten Zone zu bombardieren, hat seine Bomber doch bis nach Thanhhoa geschickt. Jetzt kann die New York Times die »Vertrauenslücke« zwischen dem Präsidenten und der Nation ausmessen: es seien zweihundert Meilen (322 Kilometer).
    Die Börse glaubte an Frieden. Der Umsatz stieg auf 19,29 Millionen Aktien hoch. Rund um die Welt begegnet man dem Dollar wieder mit Respekt; Goldminenaktien ächzen unter Verkaufsdruck. Was sollen wir glauben?
    Abends schlugen zwischen den Leuten in der Subway ungeheure Schlagzeilen durch: DIE ANTWORT HANOIS. DIE ANTWORT HANOIS . Mrs.

Weitere Kostenlose Bücher