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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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das eine rechts davon. Es ist die richtige Tür, in gestemmtes Futter gesetzt, mit einer Gehrung, beide Rahmen haben die untere Füllung aus Holz, die obere aus Glas. Die beiden Flügel hängen in Angeln, sie haben Knopf und Klinke.
     
    – Was kann ich dafür, daß auf unserer einzigen Fotografie die Walnußbäume die Fassade verdecken und die halbe Tür!
    – Du hast wahrhaftig an die Schwelle gedacht.
     
    Der Vorplatz hatte rote Fliesen, wie dieser. Wer hier eintrat, wollte durch die Tür zur Linken dahin, wo die Bauern vor Cresspahl sich noch eine gute Stube gehalten hatten. Auch Cresspahl hatte es versucht mit dem nahezu achtsitzigen Tisch, den er aus Richmond mitgebracht hatte, und stellte ihn in die Mitte als eine Tafel für Feste. Die hatte er nicht mehr zu feiern, als das Haus bis zum Hof und Garten instandgesetzt war. Der Tisch kam quer zu stehen, mit der Kopfseite neben das Fenster. Da lagen seine Steuersachen, seine Auftragsbücher, Zeichnungen, Zollstöcke. Am anderen Fenster stand Lisbeths Sekretär, von Papenbrocks Aussteuer, mit den Büchern im Aufsatz. Aber Lisbeth kam hierher nicht, zu lesen, und Briefe hatte sie nicht mehr zu schreiben. Cresspahl hatte die Stühle wie die Kommode ausgeräumt, auf die Arbeiterzimmer verteilt. Denn in diesem Zimmer schlief er nun auf einem Ledersofa an der Wand, dazu war es kahl genug.
    Nebenan, in einer nicht so großen Stube, von einem Beilegeofen beheizt, schlief das Kind.
     
    – Ging wirklich vom Kind eine Tür nur auf Cresspahls Büro?
    – Du hast von einer anderen nicht gesprochen.
     
    Dann war es Cresspahl, der in der Nacht zum Kind ging. Ohne Marie hätte ich es vergessen.
    Von seinem Schreibtisch konnte er durch eine Tür am Ende der Längswand in das Zimmer mit dem großen Bettgestell, das er nach Lisbeths Wünschen gezimmert hatte, in dem sie nun allein liegen wollte. Von da ging es gleich in die Küche. Aber wenn Cresspahl zum Frühstück ging, hat er den Weg über den Vorplatz genommen und ist vom hinteren Flur in die Küche gekommen, nur um Lisbeth in ihrem Schlaf zu vermeiden. Hier, an dem langen Kacheltisch, wurde nun auch sonntags gegessen.
     
    – Wenn die rechte Hälfte des Hauses nicht stimmt, ist das deine Schuld: sagt Marie, immer noch ein wenig besorgt, ob sie die Vergangenheit hätte nachbauen sollen.
    – Weil ich dir davon nicht erzählt habe.
     
    Warum nicht? Warum habe ich nichts gesagt von Paap, Alwin Paap, der das Vorderzimmer rechts von der Tür hatte? Er war noch bis 1939 im Haus, Altgeselle. Deswegen ging er in sein Zimmer doch auf dem Umweg über den hinteren Flur, bedienstet wie er sich vorkam. Marie hat den Rest der Hälfte aufgeteilt in zwei Kammern, wie es war. Die eine, gegenüber der Küche, nahmen sie damals noch als große Vorratskammer. Die letzte war 1935 für zwei Arbeiter eingerichtet worden. Die blieben bis zum Anfang des Krieges. Dann kamen die Franzosen, die Kriegsgefangenen. Da werden sie in drei Jahren in Betten übereinander schlafen.
     
    – Tischlers Tochter, Marie.
    – Enkelin, at that.
    – Enkelin. Und im Verhältnis richtig.
    – War es richtig? Ist es wie es war?
    – Es ist doch so. So steht es in Jerichow, und wird dein Erbe sein.
    – Das will ich nicht. Ich wollte nur einmal versuchen, was das denn wäre, wovon du erzählst. Wie das aussieht.
    – Ich bin einverstanden, Marie.
    – Dann werde ich auch den Dachboden ausbauen. Für das, was nun kommt.

2. Januar, 1968 Dienstag
    Am 8. Dezember hatte Leonid Breshnew, Erster Sekretär der K. P. Sowjetunion, dem Genossen Novotný, Erstem Sekretär der K. P. Č. S. S. R., noch einmal ausgeholfen und ihm den Posten gerettet, ein Häuptling dem anderen. Jetzt macht Antonín Novotný Versprechungen und verschweigt, daß er sie womöglich im Namen eines Nachfolgers abgibt. Ihm ist zum Neuen Jahre eingefallen, daß die wirtschaftliche Entwicklung des slowakischen Gebiets der der Tschechen im Grunde gleichrangig sein solle und daß er nunmehr alle fortschrittlichen Ideen erlauben wolle, solange sie sich als nützlich erweisen, sogar in Kultur und Kunst, sogar solche westlichen Ursprungs. Die New York Times möchte ihm Anerkennung nicht versagen und zeigt ihn uns in einem Bilde als treuherzigen Menschen voll Verständnis für die Sorgen anderer.
    Nach wie vor ist die Temperatur bei vier Grad Celsius unter Null angefroren, in der Subway war das Hustengehack einmal lauter als die Fahrt, Tropfnasen und gerötete Augen zeigen deutlich genug das Wetter an,

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