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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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und beglückt hielt er seine Arme offen, komm an mein Herz, bis das Mädchen sagte: Zwei Flaschen von dem und dem. - Ach: sagte Wes enttäuscht, tief in seiner Hoffnung getroffen. Während er ihr das Bestellte über die Schultern der Männer reichte, forderte er die Herren zu heimlichem Grinsen auf.
    Von den Gesprächen an der Bar klang zu uns herüber:
     
    – Wieso sind hier heute keine Abschleppwagen! so normal war es doch lange nicht.
    – Die sind alle in Harlem diesen Tag. Sonst machen die da wieder Rabatz.
    – Wenigstens
was
Gutes.
    – Na Wes, was gibt’s Gutes Neues?
    – Jawohl, mein Herr! Das Land steht in Flammen!
     
    Er hat uns nicht bemerkt, und Marie fragte nicht, warum wir diesen Laden besucht haben.
    Am Nachmittag machten die großen Kaufhäuser an der Fünften und Lexington wieder auf. Am Morgen hatten die Straßen nach einem Ferientag ausgesehen, still und fast leer, jetzt drängten die Autos einander wieder mit Hupen, die Passanten stießen mit Einkaufstüten gegeneinander.
    Gegen fünf Uhr gerieten wir an der Dritten Avenue an die Ausstellungsfenster einer Fernsehgerätehandlung. Die Firma warb für ihre Waren, indem sie sie alle beim Funktionieren zeigte. Lange Zeit zeigte das farbige Bild nichts als den Sarg in Atlanta, glänzend in der Sonne, auf einem in Menschenmengen festgehaltenen Maultierkarren. Die Kamera versuchte Schwenks auf die bunten Fahnen der U. S. A. und der U. N. über den Köpfen der Trauernden, kehrte hoffnungsvoll zurück zu dem Karren, aber der Sarg war immer noch nicht weiter. Nur, die Sonne war weg, und er sah stumpf aus.
    Heute abend, bevor die Theater ihre Vorstellungen beginnen, sollen sie eine Schweigeminute einlegen. Dann spielen sie.
     
    – Sprich mit mir, Gesine. Sprich mit mir, ja!
    – Ja.
    – Wenn du jetzt keinen Fernsehapparat kaufst, laß ich uns einen schenken, von D. E., von Mr. Robinson, von sonstwem!
    – Nein. Wir können uns einen leihen.
    – Mindestens!
    – Nur wozu? Das Begräbnis von King ist doch zu Ende.
    – Für den nächsten, Gesine. Für den nächsten, den sie totschießen. Für den nächsten!

10. April, 1968 Mittwoch
    Die Ermordung Martin Luther Kings hat Unruhen in 110 Städte gebracht. Die ganze Stadt Washington war zu; Banken, Restaurants, Geschäftshäuser, Läden öffneten nicht. In den Gefängnissen von Chicago waren um das Doppelte mehr Menschen, als die Anstalten fassen sollen. Auf der anderen Seite des Flusses, in Newark, brennt es noch. Dr. King ist begraben, und die New York Times macht sich Sorgen um die Zukunft der amerikanischen Seele: Nichts an unersetzlichem materiellen Wert ist verloren, aber …
    Beginn der Baseballsaison.
    Die kommunistische Partei in der Č. S. S. R. hat die Regierung nun vollständig mit Leuten besetzt, die nicht Komplizen der Stalinisten waren. Der Innenminister, General Pavel, kennt die Gefängnisse des Landes aus mehreren Jahren von innen. Die Partei verlangt überdies von sich selbst, der Staatssicherheitsdienst solle den Staat lediglich gegen Angriffe von außen schützen, und die Lösung von Fragen der Innenpolitik sei nicht seine Aufgabe. Es klingt wie aus einem Lehrbuch.
    Im März 1945 kam in Lisbeths Garten ein vergessener Krokus hoch. In der Sonne flogen Bienenvölker und reinigten sich. Der Baum hinter Cresspahls Haus war schwarz von Staren. Im Bruch ließen die ersten Kiebitze sich hören.
    Im März wurde ein Lastwagen der Heeresintendantur Stettin auf einer Landstraße in Vorpommern von sowjetischen Tieffliegern beschossen und brannte halb aus. Bis auf den Fahrer wurden alle Insassen getötet. Cresspahl bekam das Telegramm erst, als Hilde Paepcke mit Alexandra und Eberhardt und Christine schon begraben waren in einem Grab, das wir nach dem Krieg nicht finden konnten.

11. April, 1968 Donnerstag
    Es beginnt von neuem. Die Fragen sind verwandt mit denen nach der Ermordung John Kennedys.
    Warum befahl die Polizei von Memphis kurze Zeit nach dem Schuß auf King die Fahndung nach einem weißen Mustang, mit dem Zusatz, der Wagen sei ausgerüstet mit einer Antenne wie für Empfang und Sendung auf dem öffentlichen Frequenzband?
    Wer gab am 5. April um 18 : 35, 34 Minuten nach der Ermordung Kings, aus dem »Funkwagen 160« durch, er verfolge einen weißen Mustang im Norden der Stadt in östlicher Richtung?
    Gibt es jemand in der Polizei von Memphis, der die Polizei von Memphis ablenken wollte, damit dem Mörder Kings ein westlicher Fluchtweg nach Arkansas oder ein südlicher nach

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