Jahrestage 2
Arbeit mit der Havel zu überfluten. Nebenbei, die Sprengung würde auch das Dienstgebäude, sein Wohnhaus durch die Gegend streuen, und er war sich bewußt, daß das Wasserstraßenamt ihm nichts geben würde als diese Schleuse Wendisch Burg, und nicht einmal die, sollte sie eines Tages neu gebaut werden. Es war Cresspahl, der uns Martin Niebuhrs Überlegungen und Hintergedanken erläuterte; Niebuhr sagte kurz und endgültig: Dat geit nich.
Er dachte, mit dieser amtlichen Auskunft werde es sein Bewenden haben; und zu seinem Glück stand nicht S. S. vor ihm, sondern es waren zwei Pioniere, von der S. S. geschickt und nicht übermäßig zufrieden mit dem Auftrag, weil die S. S. bequem eingegraben vor dem Südertor von Wendisch Burg lag und sie allein waren in einer völlig geräumten Gegend, dem Feind immerhin um fast einen Kilometer näher. Von dem einen heißt es, er sei heute ein Architekt in Hamburg, so daß er womöglich bautechnische Kenntnisse hatte und die Zerstörung einer Schleusenanlage ihm zuwider war. Dem anderen war die S. S. nicht weit genug entfernt, er hatte Angst vor Standgericht und Erschießen, er begann eifrig, das Dynamit aus dem Beiwagen seines Motorrades zu packen, und schien entschlossen, hier pünktlich am nächsten Morgen um neun ein großes Loch in die Erde zu machen. (Es war am Abend vor dem 29. April.) Gertrud Niebuhr hatte den Zeitpunkt der Sprengung mitgehört, und nun wurde erst einmal zu Abend gegessen. Am Tisch saßen auch zwei Kinder, ein zehnjähriger Junge mit einem zweijährigen Bruder. Weil Gertrud Niebuhr nicht in einem fremden Haus war, sondern in ihrem eigenen, ließ sie sich ungeniert aus über das Vorhaben, das ihren eigenen Nachbarn in den südlichen Dörfern Wasser ins Haus und auf die Felder schicken sollte, und da sie die Namen ausführlich aufzählte, konnte Martin Niebuhr sich das Seine in Ruhe zurechtdenken. Er opferte zwei ganze, nicht einmal angebrochene Flaschen Schnaps, mit denen er eine Kuh hatte anzahlen wollen; er ließ nichts aus. Dann kam er heraus damit, daß die Sprengung der Schleuse, wenn sie überhaupt einen militärischen Akt darstelle, doch eher gegen die zivile Bevölkerung gerichtet sei. Er konnte seinen Gästen die mecklenburgischen Höhenlagen aufzeichnen
Sagn Sie ruhich Baege. Wenn das auch meeklenburgische Baege sünd. Es sünd Baege!
hinter denen die Rote Armee unbehelligt nach Norden ziehen konnte, notfalls auch noch nach der Sprengung der Bolterschleuse an der Müritz, ohne daß sie sich bei der Besetzung eines großen nassen Flecks südlich von Wendisch Burg sonderlich beeilen müßte! Und ein Fleck wird das, weiter nichs! Oft wenn ich nach dem Krieg auf der Schleuse war, habe ich ihn darauf angesehen, ob er wohl brüllen könnte, und fand ihn doch still gutmütig, geduldig, eher ein Großvater denn ein Onkel für die beiden Kinder seines Bruders. Jedoch die Niebuhrs hatten damals einen jungen Panzersoldaten auf ihrem Dachboden versteckt, der desertiert war, und Karsch sagt, er habe die Stimme des Alten laut durch die Stubendecke kommen hören. Der ältere Junge, Klaus Niebuhr, trug Karsch heimlich seinen Anteil am Abendessen nach oben, und Karsch fiel es ein, daß da doch auch Telefon sei, wo die Russen inzwischen standen. Das kannst du lange abstreiten, Karsch.
An dieser Stelle machte Cresspahl seinen Schwager Niebuhr am Telefon nach, als habe er ihn dabei gesehen. Hielt sich die Hand wie mit einem Hörer ans Ohr, unmäßig verblüfft über das Ausbleiben des Amtstons, hielt den Hörer vor sich wie etwas Widerliches, legte ihn weg. Sein gewöhnliches Telefon war an das Postamt geschaltet, und dort hatte die S. S. die Fernsprechzentrale außer Betrieb gesetzt. Niebuhr hatte den Mut aufbringen wollen, über eine Leitung zu sprechen, die von der Geheimen Staatspolizei abgehört werden konnte; es fiel ihm schwerer, sein zweites Telefon, den Apparat im Binnennetz des Wasserstraßenamtes, zu benutzen für einen Zweck, der doch geradezu privat zu nennen war. Jedoch war er in Eile; er konnte sich nicht darauf verlassen, daß die beiden Pioniere noch lange ohne Verdacht allein blieben mit seiner Frau und dem Kognak. Die erste Schleuse südlich von Wendisch Burg meldete sich mit ernsthaftem: Was ne Wirtschaft! Nein, was ne Wirtschaft.
– Jå: sagte Martin Niebuhr. Er war auch behindert von der Tarngeschichte, die er auf der öffentlichen Leitung hatte benutzen wollen. - Se sünt all hier: sagte Ewert Ewert. Ich habe ihn 1952 besucht im
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