Jahrestage 2
Luftwaffenkommando (Nord) in Braunschweig, nichts als Braunschweig, und der General der Flieger Hellmuth Felmy hatte sich die Mühe eines Besuches in Mariengabe nicht gemacht, und hätte doch sein Fest bekommen in Jerichow, mit Blasmusik auf dem Marktplatz und nächtlichem Fackelzug.
Der erste Kommandant von Jerichow Nord, Oberstleutnant von der Decken, ging aus der Stadt, ehe sie sich recht an ihn gewöhnen konnte. Das Haus, das er sich in der ehemaligen Villa Dr. Semigs gerichtet hatte, hielt er still. Zu sehen bekamen die Anwohner der Bäk ihn am Morgen und Abend, wenn der Wagen mit seinem Adjutanten vor der Tür stand, als sei ein Flugplatzkommandant ein Angestellter, der einer ganz gewöhnlichen Arbeit nachgeht. Er fuhr wenige Male zu Einladungen auf die Güter des Winkels, wo er Verwandtschaft hatte; daran hatte die Stadt keinen Teil. Die Frau von der Decken ließ sich ins Haus schicken oder holen was sie brauchte, und sie betrug sich gegen einen Handwerker als könne sie ihn nicht recht sehen. Als Cresspahl ihrem Mann den Tresor einbaute, hatte sie ihm einen Teller Zusammengekochtes in die Küche stellen lassen. Ihre hannöversche Einbildung, die Fahrten zum schweriner Landestheater, die langeweilekranke Miene, es war alles angemessen gewesen gegen Jerichow; nur hatte frühere Herrschaft sich mehr gezeigt, von ihrem Leben Geschichten abgegeben. Im Gedächtnis geblieben waren die beiden Mädchen von der Decken, vierzehnjährige Zwillinge, blond, berlinisch, scharf im Gesicht wie die Mutter. Sie gingen nicht in Jerichow in die Schule, sondern wurden in einem Luftwaffenauto zum gneezer Lyzeum gebracht. »Die Puppen« hatten sie geheißen. Für die beiden wurden im ehemaligen Tierarztstall Pferde gehalten, die ritten während der Ernte spazieren im Gräfinnenwald, auch an der Küste entlang, oft in der Begleitung eines Fähnrichs, und Jerichow hatte wieder ein neues Beispiel, wie Kinder im Vergnügen aufgezogen werden sollten, gründlicher noch als auf die Papenbrocksche Art. Dann war der Kommandant mit seinem Kampfgeschwader an die Ostfront gegangen, die Familie packte ins Niedersächsische um; anderthalb Gruppen des Geschwaders kamen zurück, wurden aufgefüllt, flogen an die Sowjetfront, kamen nicht wieder. Inzwischen hatte Jerichow durch Verlegungen und Versetzungen den fünften Kommandanten, immer jünger waren sie geworden, nun durchgehends Majore, die ihre Familie nicht erst mitbrachten und auf dem Fliegerhorst wohnten statt in der Stadt. Der letzte Tag der Luftwaffe, die Öffnung des Platzes für die Bevölkerung, war 1940 veranstaltet worden, danach fehlte dafür der Treibstoff wie das Geld, und Mariengabe war das Geheimnis Jerichows geworden, streng eingezäunt, gesichert von Wachen, Streifen, Posten, ein oft beiläufiges Geräusch, das nur bei nordwestlichem Wind die Nacht in der Stadt wach machte.
Das war bis 1944 gegangen. Der Verband, der 1940 den Platz übernahm, hatte Piloten ausgebildet, bis er nach Frankreich abgezogen war, davon war ein Bataillon für Grundunterricht übrig, und eine Kompanie für Luftnachrichtenschulung war dazugelegt. Den Erwerb des Heimatrechtes, den noch von der Decken versprochen hatte, betrieben die Stabsoffiziere Fliegerhorst, ältere Herren aus der Reserve, inzwischen lässiger. Über die Nacht vom 28. zum 29. März 1942 war ein dramatischer Bericht im Gneezer Tageblatt veröffentlicht worden, damit die Umwohner des Platzes ungefähr wußten, daß er arbeitete: wie die Mannschaften mit Maske, Stahlhelm und Gewehren in die Bunker und Gräben rennen, wie die Sanitäter, Warte und Tankwarte auf ihre Position gehen, damit landende Jäger auf das rascheste abgefertigt werden können, »und mit donnerndem Motor steigt der schlanke Vogel empor in die Nacht, den britischen Terroristen entgegen«. Zu der Einführung neuer Kinderspiele hatte dies in Jerichow nicht ausgereicht. Einmal waren die oberen Klassen der Hermann Göring-Schule nach Gneez verfrachtet worden, die Erlebnisberichte eines Eichenlaubträgers im Hotel Erbgroßherzog anzuhören; die Bewerbungen von Wehrpflichtigen zur Luftwaffe waren wie gewünscht angestiegen. Seit 1943 lagen Jäger auf dem Platz und machten die Nacht zum Tag mit der Marschmusik in ihren Bereitschaftsbaracken, sprangen mit ihren Messerschmitts über die Ostsee, nach Berlin, aber nicht nur die Briten hatten sie kaputtgeschossen, auch die deutsche Flak. Immer noch raste die Besatzung des Platzes in Deckung und Position, wann immer Alarm
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