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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Offiziere vom Gut Beckhorst geholfen, die öfters in der Dämmerung zu Besuch kamen, gelassen und angstlos begrüßt als Gäste. Das mochte sein; warum aber war Johnnys fehlender Arm ein Anlaß zu so unermüdbarem Gelächter, selbst für Johnny? Wir waren ausgerüstet mit Stücken aus Lastwagenreifen, die wir mit Gasmaskenbändern an unseren Füßen als Sandalen befestigten, die knöchelhohe Stoppel kroch doch hinein, abends salbte und verband Hanna mir die Füße wie ich ihr. Wir träumten grau und weiß und gelb, den wuchtig bewölkten Himmel, die Ähren, die Stoppeln, die festen Sandwege. Zum Frühstück gab es auch ein Programm der British Broadcasting, darin mußte der Österreicher immer noch einmal die Sache herausschreien mit dem letzten Bataillon auf der Erde. Wir lernten Weizenfuder packen. Viel zu langsam wurde die Haut hart, Grannen im Gesicht waren immer von neuem zum Erschrecken. Getreide ist was die Erde trägt und Korn heißt in jedem Land das wichtigste: der Mais in Amerika, der Roggen in Deutschland, in Frankreich und Mecklenburg der Weizen. Triticum vulgare: sagte Johnny. Beim Einfahren nahm Hanna den Platz oben auf dem Fuder, ich ging gern neben Jakobs Fuchs und wollte von ihm wiedererkannt sein. Es sollte Zärtlichkeit sein, wenn ich ihm ins Kopfgeschirr faßte wie zum Führen, es war eher zum Festhalten. Wenn der Dreschkasten anlief am flappenden Band, sah er klug aus und doch gröber als der simple Trick, den die Natur vielleicht noch versteckt hielt für die Ausnutzung des Korns. Des Weizens. Die anderen Kinder hatten die Erntezeit hingebracht im Obstgarten, beim Ausmisten der Ställe, mit Küchenhilfe; Hanna und ich waren ausgebildet für den Schütte-Lanz. Als erste durfte sie auf die Dreschbühne, die Garbenseile lösen und Frau von Alvensleben das Gut zureichen, in flachem Schleier auf dem Arm ausgebreitet. Die Namen auf dem Hof waren: Inge, Johnny, Johnny sin Olsch, Herr Sünderhauf, Frau Sünderhauf, Frau von Alvensleben, Herr Leutnant, Frau Lakenmacher, Frau Schurig, Frau Bliemeister, Frau Winse, Anne-Dörte, Jesus, Axel Ohr, Huhn und Häuneken, Inglischminsch, Epi und dann noch die Kinder unter dreizehn: zwar lag hier ein Rollfilm von früher in der Lade, passend für eine Box, die nicht zu holen war aus Jerichow. So sind von den Gesichtern nur vier nicht vergessen. Anne-Dörte hatte sich, auf dem Feld, in unserer Nähe gehalten; auf dem Hof gab sie sich als Johnnys Patentochter. Wir verdächtigten sie nur nebenbei wegen unserer neuen Holzpantoffeln. Frisch zugeschnitten, mit einer Art Sohlenprofil, Leinenfutter unter dem Leder, mit echten Teksen und Draht befestigt, so hingen sie einmal morgens an unserer Leiter, und paßten, nachdem unsere Füße vernarbt waren. Hinter dem Dreschautomaten regierte Cresspahls Tochter, auf den Stiel einer Schaufelforke gestützt, und alle paar Minuten stakte sie das Langstroh auf einen Kastenwagen, war aber Band für die Ballenpresse da, mußten die anderen Kinder zugreifen, die bei der Spreu, den Sackausläufen, dem Kurzstroh Dienst taten. Das in sich kreisende Brummen trennte das Gehirn langsam von der Innenseite des Schädels. Stunde um Stunde wechselten Hanna und Gesine einander ab, damit wir fortgesetzt arbeiteten als ein Team. Anne-Dörte war neunzehn, so hübsch hatten wir noch keine gesehen, so würden wir nicht werden; von ihr konnten die Pantoffeln nicht sein. Johnny duckte sich mit uns unter die Maschine und lehrte nun noch, im Unsichtbaren, den Lauf des vorgereinigten Korns durch den Becherelevator; so vergnügt war er. Wie in der Wirklichkeit war er mit seinem Plan am 20. August angelangt, schon vierzig Doppelzentner waren zum Sowjetgut Beckhorst abgefahren, alles gegen zweisprachige Quittungen, mit Stempel, nun standen die Herren ihm hübsch in der Kreide mit Bindegarn, Rohöl und Leumund. Wann waren Hanna und ich nicht zusammen? Unsere Plätze am Tisch waren fest, aufs Feld kam eine Flasche Gerstenkaffee für uns beide allein, gelegentlich wurden wir angeredet wie eine Person, und nebeneinander schliefen wir im Heu in der Apfelkammer über der Döns. Gewiß erzählten wir einander nicht alles. Mir war nun gewiß, daß Cresspahl so neben auf Schleeten gereihten Birnen und Äpfeln schlief auf Schmoogs Hof, als uns’ lütt Oma gestorben war; mit Sterben durfte ich Hanna nicht gleich kommen. Allerdings, ihre Ähnlichkeit mit Alexandra wußte sie nun, und fragte nach ihr. Wo Alexandra Paepcke heute wäre, wenn. Ob Alexandra den Weizen

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