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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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un kamen ok vœr jug’ Kammer, so segg: Meinen ji, dat ick jugen wegen hier bün? Ne, bewåhr mi, dor seiht ji nich na ut.
    Nawers Kinner sünt immer de bös’ten.
    Auf dem Weg nach Hause, in Ehren entlassen und bedankt von Mann zu Mann, wollten wir unseren Augen nicht trauen. Im Wald ging immer eine voran, die Hand hinterm Rücken bereit für das Zeichen: Da kommen welche (rechts oder links), da kamen keine, wir hielten es bloß für Glück. Die Leute im Dorf, die denen von Schlegels so muffig geantwortet hatten oder am liebsten nicht, sahen an uns feindselig vorbei in der gewöhnlichen Art; wir sahen aber ein offenes Hoftor, und auf dem Hof einen Kasten auf heilen Gummireifen, mit einer langen Stange, die bequem an einem Jeep zu befestigen war, ein neuwertiges Stück, in fünf Sprüngen hätten wir es haben können und damit über alle Berge sein. Unheimlich stand das Tor offen, war nicht bewacht. Auf dem langen Weg über das hohe Ufer verstellte der landein laufende Wind das Geräusch des Motorrades, das aus dem Gräfinnenwald herausschoß und vor uns war, ehe wir noch anfangen konnten zu laufen; die Rote Armee fuhr blicklos, bösen Blickes an uns vorbei, alles Offiziere, der im Beiwagen wie krank geduckt. Wir hatten die Uniform unzweifelhaft erkannt, und glaubten es nicht. In Jerichow aber, schon auf der Rander Chaussee, trieben die Deutschen es zu arg. Wir sahen ein Mädchen in Rock und weißer Bluse mitten auf dem Damm, gut in Sichtweite der Sowjets in der Flughafenwache; von fern war sie Lise Wollenberg ähnlich, die hätte es besser wissen sollen. Dann wurden wir überholt von einer Frau, die reiste am hellichten Tage auf einem Fahrrad durch die Gegend, und an der Lenkstange hing wahrhaftig eine Milchkanne. Entlang der Stadtstraße ging uns auf, wie viele Frauen nun in Jerichow waren, denn mit einem Mal trugen sie Kleider, so daß recht zu erkennen war, wer nun bloß noch aus Armut Hosen anhaben mußte. Bergie Quade kam vorbei, als wir den Ziegeleiweg auskundschafteten, am Hals hatte sie Knöpfe offen, ihre schweren Arme waren blank und unbescheiden, und Bergie sagte uns Bescheid. Wir waren ja wohl auf dem Lande gewesen und kannten uns nicht aus in Jerichow. Nein. Die Russen waren weg.
    Wir haben aber noch welche gesehen an den Rehbergen. Kommen nun die Schweden?
    Kinnings, ne. Die Russen dürfen nicht mehr raus.
    Son bißchen Ausgangssperre?
    Nein, im Ernst. Das hat Sokolowskij allns so abgemacht mit der Partei. Mein Vater is inne Partei, meine Mutter is inne Partei –
    Marschall Sokolowskij? Der Öberste?
    Kaserniert hat er sie. Auf Stube leben sie. Keine Entfernung von der Truppe mehr. Könn’ ein’m fast leid tun, so eingespunnt, die Kerls.
    Ist die Kommandantur noch da?
    Ja, so nich, Gesine. Aber sonst haben wir gelebt wie im Frieden die letzten Tage.
    Ach, das.
    Könnt ihr euch nu auch wieder n büschn hüpsch machn. Sollen ja Wahlen sein bald.
    Sünt wi nich hübsch nauch?
    Bist du. Seid ihr. Und so kommt alles wieder in die Reihe. Kümmt allns bi lütten –
    As bi den Ossen de Melk.
    Kinder was seid ihr bloß verdorben!
    Hanna versprach noch einmal, bei uns zu bleiben. Wenn Wassilij Danilowič Sokolowskij solche Ordnung einführte, war doch das Nächste, daß er Cresspahl schickte. Konnte Hanna ihre Lehre haben.
    Inzwischen hatte die Sowjetische Militär-Administration obendrein die Rationen angehoben. Hanna und ich würden auf unsere Karte 5 nicht mehr bloß ein Viertelpfund Brot bekommen sondern dreihundert Gramm. Dazu hatten wir dicke Säcke Weizen gut. Gewiß würden wir den Winter überstehen.
    Cresspahls Vordertür, ehedem vernagelt mit der Tafel des Schutzbefehls, stand bis in den späten Abend offen. Die Russen in der Kommandantur kannten wir nicht. Die waren also seit K. A. Pontij die dritte Besatzung.
    – Die Zwillinge sind das: sagte Jakob. Wir saßen bei seiner Mutter und erzählten. Wir kamen von einer langen Reise. Sie hatte uns neben sich gehalten, jede unter einem Arm, und ausgerufen, in dem bittenden Ton, den sie sonst für Enttäuschung über ungeratene Kinder benutzte: Mäten, wie seht ihr aus! Sie war so still und hohl um die Augen, ohne Bewegung hätte sie ausgesehen wie tot. Das Haus fühlte sich ganz und gar nach Sonntagabend an. Wir gaben an mit unserem Sattsein und schlugen Abendbrot aus. Hanna fragte höflich, wer denn nun die Hand über Gesines Großvater halte, nun die Demwiesschen Zwillinge Jerichow kommandierten. Jakob, dem Psychologen, dem zur Erziehung

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