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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Berechtigten, dem Mädchenkenner kam über die Lippen: Papenbrock haben sie … versetzt. Versetzt haben sie ihn.
    – Verhaftet: ergänzte Hanna. Mehr erschrocken war Gesine, aber ihr flatterten die Lider. Das Haus zog Gefahr an. Hier war es nicht sicher.
    Sie bekam dann nicht genug Zeit, sich zu besinnen. Am achten September legte das N. K. W. D. Sonntagsarbeit ein. In Jerichow wurden vom Frühstück weggenommen: Frau Uhren-Ahlreep, Leslie Danzmann, Peter Wulff, Brüshaver, Kliefoth. Das unermüdliche Gerücht wußte für sicher, daß über Jerichow eine Brieftaube gesichtet worden war. Inzwischen wohnte Hanna lange genug in Jerichow und sah eher alle diese Namen mit Cresspahl zusammenhängen als daß die Rote Armee böse war wegen nicht abgelieferter Tauben oder eines verbotenen Vereins. Am Abend waren die Verhafteten entlassen, so daß nichts auffallen mußte am Arbeitsplatz. Das Gerücht hatte sie schon im Konzentrationslager Neubrandenburg gewußt, als Gesellschaft für Papenbrock; sie hatten in den Kellern unter dem Rathaus gesessen. Alle hatten strenges Schweigegebot. Da Jakob bei Leslie Danzmann anfing, verlor er eine Stunde, die log aus Angst. Wulff, Kliefoth, Brüshaver versicherten ihm: Im Verhör konnten zwei Fragen auf Cresspahl gegangen sein. Die erste stocherte in Cresspahls Dienstzeit an der Ostfront 1917. Die andere wollte ihn gern zusammensperren mit einem Geheimrat Hähn, Malchow. Kliefoth kannte nur den Namen, aus einer Affaire mit Waffenhandel, Anfang der zwanziger Jahre.
    Hanna bedankte sich bei Jakob, als er zurückkam aus Warnemünde, aber wie für eine Schuldigkeit. (In unserer neuen Art sprachen wir überhaupt nur nebenher mit diesem Menschen.) Die Fischerverwandtschaft war bei den Gemeindewahlen mit der Volkspolizei ins Gedränge gekommen, angeblich hatten sie schon nach Hanna geschickt. Damit die Abreise zu den Briten nicht auffiel, sollte Hanna vor Rande zusteigen.
    Jakob sollte sie nicht bringen. Während sie im Haus Abschied nahm, stand Gesine vor der Tür und wollte nicht ansehen, wie sie es mit Jakob anstellte. In Rande wollte sie nicht allein auf Ilse Grossjohanns Kutter. Gegen Mitternacht waren wir an der Stelle, die de Huuk heißt, 11°7′ östlicher Länge, 54°2′4″ nördlicher Breite. Es ging Gesine später auf, daß sie umarmt worden war wie es einem Jungen zukam.
    Noch Tage danach konnte sie in den Armen das Gefühl wiederkommen lassen, mit dem sie Hanna auf das andere Boot hinübergestoßen hatte. Auch fiel ihr die Einbildung leicht, daß Hanna doch hatte bei ihr bleiben sollen.
    Als Gesine mit dem Sonnenaufgang zurückgekommen war zu dem leeren Bett, hatte sie neben ihren Holzpantoffeln die von Hanna gefunden, alle vier ordentlich nebeneinander ausgerichtet.
    4. Juni, 1968 Dienstag
    Das Land hat mehr als dreieinhalb Millionen Mann unter Waffen, fast so viel wie in jenem koreanischen Krieg 1953; heute werden die Wähler von Kalifornien dem Robert F. Kennedy etwas Vorläufiges sagen über seine Eignung zum Präsidenten; der fällige Raubüberfall bekam die Adresse 71 West 35th Street; mit Erlaubnis der neuen Kommunisten in der Č. S. S. R. dürfen die Bürger nun auch noch von Amts wegen wissen, daß der große und gütige Antonín Novotný nicht nur im Jahr 1952 politische Verfahren gefälscht hat, sondern auch 1954, 1955, 1957 und 1963;
    die ostdeutschen Kommunisten haben einen Kunstgeschichtler der Columbia freigelassen, obwohl ihm für seine Dissertation über berliner Architektur auch »verbotene« Gebäude vor die Kamera geraten sein mögen, und ohne daß die amerikanische Seite etwas schenken mußte. »You could say it was done with mirrors.«
    Das muß die diplomierte Übersetzerin Cresspahl, seit sieben Jahren ansässig in New York, doch wieder nachschlagen, damit sie ja nicht nach Hause kommt in der hiesigen Sprache: mit einem Trick getan. Neun Monate Haft, und doch ohne Prozeß zurückgegeben an die Außenwelt. Taschenspiel. Zauberei.
    Cresspahl war noch nicht zwanzig Monate gefangen; er wünschte sich einen Prozeß. Wohin auch immer, er wollte nun weiter als bloß bis zum nächsten Tag.
    Bis zum nassen März 1946 war er beschäftigt gewesen, das ließ sich an wie Bewegung. Das Lager an der Westgrenze von Sowjetmecklenburg, es war eins zum Aufbewahren gewesen, dennoch hatte ein Häftling ohne Gefahr sich melden dürfen zur Arbeit. Der Kommandant vergab keine Belohnung, wenn Einer denn eine Baracke vom Fußboden bis zum Dach durchnahm, daß sie am Ende heil

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