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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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in den Fahrplan gerissen haben. Ein junger Schwarzer, schwarze Lederjacke und Afrohaar, wollte einem fetten weißen Buchhalter den Vortritt lassen. – Nach Ihnen, gehen Sie nur! sagte er zu dem verdatterten Weißen, der erwartete doch ein Schimpfwort. – After you, brother: sagte der Schwarze. Brother! In der Subway!
    – Davon weiß ich nichts. Im Central Park spielten die Bürger Ferien. Was ich gehört habe: das klare Wetter, Tonjas Krampfadern in so jungem Alter, Sommerschlußverkauf am Herald Square, die Mannschaftspolitik im Baseball von New York. Am Broadway nicht anders. Die Musik lief im Supermarket wie jeden Tag, und meine Kassiererin fluchte über Käufer ohne Kleingeld.
    – Wär ich auch wütend gewesen.
    – Wütend war ich auf dich, Gesine! Weil du es mir erklärt hast als gewöhnlich für das Land, John F. Kennedy, Martin Luther King, und schon wieder hattest du recht, Robert Francis Kennedy.
    – Auch Ferwalters wußten nicht, wo du abgeblieben bist.
    – Ich war unterwegs, allein in der Stadt.
    – Zeitungen kaufen, eine nach der anderen.
    – Nicht so vornehm wie du, ich nehm auch die Bildzeitung, die Daily News.
    – Darf ich es dir ersetzen?
    – Bezahlt hab ich von meinem Taschengeld. Taschengeld ist für persönliche Bedürfnisse, oder?
    – Zu Mittag bin ich nicht in der Bank geblieben, ich ging über die Straße. Noch zweimal am Nachmittag war ich unten, immer gewiß, du stündest vor dem Haus und wartest.
    – Das hab ich auch getan!
    – Mrs. Lazar sieht so streng bloß aus. Das kann sie mit Kindern nicht. Sie hätte dich zu mir gebracht.
    – Es war nicht Verlegenheit! Es war Wut auf dich, weil du auch dies wieder von mir erwarten würdest! Zehn Minuten hab ich euer kostbares Foyer bewundert, und bin weggelaufen, daß du mich ja nicht erwischst in deiner Einbildung.
    – Auf mich?
    – Einbildung auf dich! Wer kann mich schon trösten, niemand als die Mutter! Und daß ich Trost denn brauchte! Wenn ich das nun allein abmachen wollte? Als ob du mich kenntest, inwendig und auswendig!
    – Nicht einmal weiß ich, was du als Abendessen bestimmt hast.
    – Nichts! Keins für mich. Für dich ist ein T-Steak da. Und grüne Bohnen.
    – Kein Abendbrot für mich.
    – Gesine, du hast gearbeitet, du mußt essen. Morgen mußt du in die Bank. Iß. Oder darfst du hierbleiben?
    – Morgen muß ich arbeiten.

    Am Ende war nicht viel übrig von Bekanntschaft inwendig und auswendig; wo die Mutter sich eine Versöhnung ausdachte, kam es Marie an auf Einvernehmen. Sie zeigte die Mühe, die sie aufwenden mußte für einen erträglichen Ton beim Besprechen der Einkäufe, beim Abwaschen; gern wäre sie abgegangen hinter die verhängten Scheiben ihres eigenen Zimmers. Nur, sie benötigte die Mutter noch ein Mal. Sie horchte auf das Klicken der Fahrstuhlketten, und beim ersten Klingelzeichen stand sie an der Tür. Und was trugen zwei Möbelpacker am späten Abend in die Cresspahlsche Wohnung, die seit sieben Jahren gefeit war gegen die amerikanische Television, was verschlugen nun die pädagogischen, die wirtschaftlichen und die mütterlichen Erwägungen? Ein Fernsehgerät rollten die schwermuskligen Herren über die Schwelle, da wurde eine Mutter gebraucht zum Unterschreiben des Leihvertrags. Den Apparat beorderte Marie in ihr Zimmer, die $ 19.50 bezahlte sie selbst. Taschengeld ist für Bedürfnisse persönlicher Art.
    Gewiß geniert sie sich für den Bruch noch einer Vereinbarung; geflissentlich schaltet sie das Volumen des Apparats hinunter, wenn in die Nachrichtensendung Werbung einbricht. Daß ihre Liebschaft mit einem Politiker von außen sich anläßt wie eine von den meinen, sie wird es mir lange nicht glauben.
    6. Juni, 1968 Donnerstag
    »Marie H. Cresspahl, Klasse 6b
    Klassenlehrerin: Schwester Magdalena
    Fach: Wissenschaft? Geschichte? Gesellschaft?

    Vorläufige Notizen für fakultativen Aufsatz
    ROBERT FRANCIS KENNEDY
    Gliederung? später als Inhaltsverzeichnis

    Biographie
    1925
geboren. 20. November. Vater Bankier, Reeder, Spekulant. Für jedes Kind 1 Million. Isolationist
Schulbildung:
Katholisch auf Rhode Island. Privates Gymnasium bei Boston. Ansehen bei Mitschülern: K schlecht im small talk, schlecht bei Festen. Trainingsprogramm der Marine an der Harvard-University. Dienst auf Zerstörer. Ohne Feindberührung zurück ins College. Begeistert für Football, zu klein dafür
1946
$ 1000,00 vom Vater als Belohnung: Nicht geraucht, nicht getrunken, kaum mit Mädchen gegangen
1948
B. A. von

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