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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Treuhänderschaft. Ganz wie in der alten Rechtlichkeit.
    – War sie nicht auch in Gefahr?
    – Wenn Albert zurückkam und sie hatte das Eigentum nicht bewahrt, geschweige denn abbröckeln lassen, glaubte sie sich erst recht in Gefahr. Gewiß, die Sowjets mochten auch sie einladen zu einer Spazierfahrt wer weiß wohin; das gedachte sie zu überstehen mit dem Bewußtsein ihrer Unschuld (wie sie ja auch Papenbrock täglich erwartete, schlohweiß ins Recht gesetzt). Zum anderen, hatte sie der Roten Armee nicht ihren guten Willen gezeigt, Gastfreundschaft geradezu, als Herrn Wassergahns Verein ihr das Parkett im Salon zertanzte? Nun war noch ein Unfall denkbar, dafür hielt sie Horsts Witwe in der Hinterhand, zwar von geringer Abkunft aus der Schusterstadt, dennoch eine Schwiegertochter, vorbestimmt zum Nachrücken in der Verwaltung des Erbes. Warum sollte diese Kette durchgebrochen werden?
    – Ihre adlige Freundschaft war vor den Sowjets weggelaufen.
    – Das fand sie geradezu erleichternd, deine Mittelklasse. Die Strafe der Sieger hatte erst einmal die anderen getroffen. Wie konnte sie eine Freundschaft fortführen, die unpraktisch geworden war, nämlich schädlich für das Geschäft? Freundschaft bloß so, als sittliches Muster ohne Wert? Es verschlug nichts mehr, sich etwas einzubilden auf ein Bündnis mit den Plessens, den Oberbülows, da fielen ihr leicht Sachen ein, die eher Gegnerschaft bewiesen: ein übersehener, ein lässig erwiderter Gruß, das Ausbleiben einer Einladung zu der Zelckschen Doppelheirat 1942; damals hätte sie bei den Lüsewitzens nicht einmal mit bedenklichem Kopfneigen moniert, daß ein deutscher Gutsritter Zwangsarbeiter in Ställen hält, wie immer ausländische; jetzt drückte sie das Kinn fest in den Kragen und sprach mit frommer Strenge von der Gerechtigkeit. In einer Dachkammer bei Papenbrocks wohnte eine Familie von Haase, die war aus dem Südmecklenburgischen deportiert, mehr als die dreißig vorgeschriebenen Kilometer vom Gut entfernt, die triezte Louise in der Küche, beim Wasserholen, da brauchte deren Marga nur ein wenig aufzumucken, schon rief Louise ihr nach: Deine Mutter wird ja wohl auch Kriegsgefangene geschlagen haben! dafür hatte sie keinen Beweis als Erfindung. Sie wünschte diese Leute aus dem Haus, die lästige Erinnerung; einen Bothmer auf der Flucht hätte sie an der Tür abgewiesen.
    – Und angezeigt.
    – Du mißtraust mir. Du denkst, ich biege die Erzählung um gegen sie. Bloß um ihr Schlechtigkeiten anzuhängen.
    – Du haßt sie.
    – Marie, an der war nichts zu hassen für ein dreizehnjähriges Kind. Der ging ich aus dem Weg, weil Cresspahl das ungefähr gewollt hatte, nun auch noch Jakob; wußte ich warum? Kannst du hassen auf Befehl?
    – Das war gar nicht meine Falle, Gesine.
    – Sie hätte den nicht angezeigt, es wäre doch zu den Nachbarn gedrungen, daß sie den Sowjets gefälliger war als nötig. Und in noch etwas war sie den jerichower Hausbesitzern verbunden: kleine Steine mußten sie zurücklegen ins adlige Brett. Konnte doch alles anders werden.
    – Wie früher? Sie hatten doch verloren!
    – Die Sowjets, höchst erstaunliche Sieger, sie führten nicht ihre eigene Wirtschaft ein in Mecklenburg, die Genossenschaftsgüter unter staatlicher Verwaltung, ihre berühmten Kolchosen. Treu hielten die sich an das Abkommen mit ihren Alliierten, das von Potsdam, und nahmen jedem den Boden weg, der mehr als hundert Hektar besaß, den Naziführern ohnehin alles, und reformierten das Land. Sie taten das früher als verabredet, aber etwa auf kommunistische Weise? Sozialistische Produktion ist Großproduktion, du wirst es schon noch lernen; die Sowjets gaben ihren Bodenfonds weg in kleinen Stücken, viele zu fünf Hektar, an Landarbeiter, Büdner, an die Umsiedler aus den östlichen Gebieten, sogar alten Bauern wurde etwas zugeschlagen, die Gemeinde Jerichow, denk an, bekam adlige Äcker zur Bewirtschaftung, obendrein ein Stück vom Gräfinnenwald. Wenn sie so viel Eigentum bestätigten, eine solche Menge Begriff und Wirklichkeit von Eigentum in die mecklenburgische Welt setzten, es sah nicht aus, als wollten sie bleiben.
    – Sie müssen es doch mit zusammengebissenen Zähnen getan haben. Bloß aus Vertragstreue?
    – Das traust du ihnen nicht zu, Marie.
    – Ach. Das war deine Falle. Stimmt das, Gesine?
    – Das war noch nicht die Feder von der Falltür. Sie hatten nun einmal unterschrieben, das deutsche Volk sollte nicht versklavt werden, sie gingen davon nicht

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