Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
eines Nazis. Hat Dörfer angezündet in der Ukraine.
– Das wußte das Dreifache J, als er sie zu seiner Vertrauten machte. Er hatte ihr vergeben.
– Sie hatte einen Sohn von diesem Robert Papenbrock.
– Der sprach besser Russisch. Er hieß nicht mehr Fritz. Hörte auf Fedja.
– Ihr Name ist in Cresspahls Akten gefunden worden.
– Ja. Sie wurde nicht deswegen geholt.
– Gesine, du wolltest mir dies nicht erzählen wegen deiner Bewandtnis. Du denkst, ich mißverstehe die Sowjets gleich wieder. Ich verstehe sie aber.
– Bloß geschlagen werden darf nicht.
– Gesine. Ich mag solche Strafe nicht. Ich mag nicht, wenn Einer sein Land verrät. Du willst es mir empfehlen. Erst Cresspahl, dann Slata.
– Sag das Slata.
– Nicht wahr. Sie ist zurückgekommen. Man kann versuchen, es ihr zu erklären. Man hat es ihr längst erklärt.
– Sie ist nicht zurückgekommen. Fedja hat noch die Fahrt in die Sowjetunion überstanden, im Lager ist er gestorben.
– Gesine, schieb das Band zurück bis zu Alma Witte. Ich will das alles nicht gesagt haben. Ich will darüber nachdenken dürfen. Das nächste Mal sag mir Bescheid. Sag: Halt.
– Hierbei hatte Frau Witte etwas verloren. Das war Fedja, der zu ihr hatte Oma sagen lernen, nicht zu Louise Papenbrock. So ein dreijähriger Junge. Den konnte sie ja noch auf den Arm nehmen. Wo büssu denn, wo büssu denn, min Häuneken? Verloren hatte sie die Mutter zu dem Kind. Die hätte leicht das Verhältnis der Miete anlegen können als das einer Herrschaft; sie war still gewesen, ein wenig zu selbständig, bei Gelegenheiten töchterlich. Das junge Ding hatte ihr die Ehre gegeben, die ihr zustand. Das gefiel einer Frau Witte. Wenn jemand wie die Besitzerin des Hamburger Hofs in der Stadt ohne Not die Höflichkeit Fräulein Podjeraizkas lobt, zieht sie eine breite Schleppe durch die Meinung der Bürger, insbesondere wenn sie andere Tugenden obendrein zu vermuten gibt. Engel von Gneez. Verloren hatte Alma Witte noch, was die Bürger Stolz nennen. Es braucht mehr als Tüchtigkeit, in einer mecklenburgischen Landstadt ein Hotel auf dem zweiten Platz nach dem Erbgroßherzog zu halten, in deutlichem Abstand von den anderen. Bei ihr hatte das Landgericht gegessen, die Herren vom Gymnasium, die Reichswehr aus gutem Hause. Wenn sie abends durch den Speisesaal ging, waren die Herren aufgestanden zur Begrüßung. Wollte ein Ortsfremder sich einführen bei ihr, besser brachte er einen Älteren mit zur Vorstellung. Sie hatte einmal das Gefolge des mecklenburgischen Reichsstatthalters zur Ruhe ermahnt, ohne den Gehorsam abzuwarten; es war in deren Ecke zu solcher Gemessenheit gekommen wie üblich. Kommissar Vick, nicht von der Gestapo, sondern von der Kripo, weil ich ein aufrechter Nationalsozialist bin! er hatte auf sein Benehmen achten müssen, oder sie entzog ihm das Gastrecht. Die Sowjets hatten ihr das Haus umgewandelt in eine Herberge für Funktionäre der neuen Verwaltung und durchreisende Partei, doch nannte sie Herrn Jenudkidse »ritterlich«; sie hatte abends im Speisesaal dabeigesessen wie eine Vorsitzende ehrenhalber; Lustbarkeiten wie bei Louise Papenbrock waren nicht vorstellbar. Frau Witte, ob sie nun leutseliges oder ergebenes Betragen für angemessen hielt, angemessen fiel es aus. Nur, all ihre Schicklichkeit war darauf angewiesen, daß sie galt, anerkannt wurde, erwidert. Solche Partnerschaft war ihr durch den Überfall in ihrer Wohnung abgeschafft, sie vertraute nicht mehr auf den Austausch gleicher Manieren, die Verabredung auf hergebrachte Formen. Die Alma Witte früherer Zeiten hätte sich in bester Ausgehkleidung auf dem Rathaus melden lassen und den Kommandanten um Bereinigung des Vorfalls ersucht, diplomatisch abwägend, ob sie den faux pas vergessen sein lassen müsse oder am Ende doch eine Entschuldigung erlange. Nun hatte man nicht abgewartet, ob sie die Tür öffnen werde, man hatte ihr den Rahmen und all das seltene Milchglas eingeschlagen. Man hatte ihren würdigen Protest nicht beachtet und gegen alle guten Sitten Gäste aus ihrer Wohnung geschleift. Man hatte sie vor die Brust gestoßen und ihr durchaus nicht die Hand zum Aufstehen geboten, einer Dame von fünfundsechzig Jahren. Alma Witte reichte nichts Schriftliches ein bei der Kommandantur, weder ein Gnadengesuch für ihre jugendliche Freundin noch einen Antrag auf Ersatz des Schadens. Sie durfte nicht einmal als Genugtuung rechnen, daß J. J. Jenudkidse neuerdings arbeitsfreie Abende im Hotel
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