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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ab. Sie behielten ihren Kommunismus für sich. Manchmal gaben sie sich ein Aussehen, das gefiel noch den sittlichsten Bürgern. Sie redeten durch eine eigene Zeitung mit den Deutschen, die hätten sie nennen dürfen S. M. A.-Nachrichten, Antifa-Umblick, Rotfront Frei, sie benutzten aber den Titel Tägliche Rundschau, Frontzeitung für die deutsche Bevölkerung, die Front ließen sie schon im Juni 45 beiseite. Das war immer noch kein beliebiger Titel, so hatte einmal ein christliches Blatt firmiert, mit wilden nationalistischen Gewohnheiten, den nahmen die Sowjets aus der von den Nazis geschluckten Beute in Besitz, nach juristischen Umständen korrekt. Papenbrock hätte solch Verfahren gefallen. Der bürgerliche Begriff des Eigentums galt etwas bei den Sowjets.
    – Vielleicht brauchten sie deine Bürger noch eine Weile für die Wirtschaft. Aber an die Staatsmacht haben sie die nicht gelassen. Das wär doch, als hätten sie sich einen Schnitt ins eigene Fleisch versprochen.
    – Du mußt eben nicht Sister Magdalena nach dem Potsdamer Abkommen fragen.
    – Du nimmst mich auf den Arm.
    – Einfacher konnten die Sowjets ihre Absichten mit ihrem Teil der Besiegten nicht erklären als durch die Weissagung ihres Führers, die auf Bett-Tuch gepinselt an Rathäusern hing oder in roter Fraktur an die Stirnwand der Aula gemalt stand:
    Die Hitler
    kommen und gehen
    aber
    das deutsche Volk, der deutsche Staat
    bleibt;
    auf Mittelachse geordnet, nach einer Gewohnheit der Schriftkünstler. Wenn du das Stunden lang vor Augen hast, versuchst du unablässig eine Übersetzung ins Lateinische, mit et oder doch eleganter atque, so antikisch war es, weise wie der Führer der Völker nachts im Kreml, ganz in seinem Stil und doch mit verstellter Stimme, nämlich keins von seinen Kunststücken in der Dialektik, bloß Geschichte als Wellenbewegung, Hitler als Typus wiederkehrender Art, ungeachtet der anwachsenden Macht der internationalen Arbeiterklasse, als Ewigkeit ein Staat versprochen, dessen einziges Kennzeichen war das Deutsche, also auch eine Strähne Mecklenburgisches. Es war geradezu Erziehung in Ironie, so recht für bürgerliche Gemüter.
    – Das glaubten sie nicht, Gesine.
    – Wenn die Sowjets dafür schon Tuch benutzen, auf dem könnten sie schlafen? Deine Bürger legten die Ohren an, es machte ja Spaß, Klugheit zu beweisen. Slusuhrigkeit. Wie angekündigt, gaben die Sowjets die Verwaltung ihres Gewinns nicht schlicht an Deutsche, einfach Gegner Hitlers; wie erwartet, schickten sie Verwandte, Emigranten der K. P. D., für jenen deutschen Staat trainiert an sowjetischen Schulen; wie vorhersehbar, kamen mit ihnen nach ihrer Wissenschaft Vertreter jener Klasse, der allein sie Produktivität und historische Kraft zuschrieben und der obendrein ein Ausgleich zustand im Einkommen wie in der Herrschaft; niemand verwunderlich kam die Kommunistische Partei. Die sollten auch mal ran.
    – Arm in Arm mit bürgerlichen Parteien. Unter den Augen K. A. Pontijs.
    – Die hinterließ dieser Kommandant als Andenken in Jerichow. Nach Cresspahls Verhaftung –
    – Halt.
    – Im Herbst 1945 war Pontij nicht mehr reußischer Potentat, seine Orders wurden täglich gründlicher, sie gingen das ehemals britische Mecklenburg nun nach den gleichen Plänen an wie das übrige, seufzend gab er die Statistik auf. Er hätte die Sache gern befohlen. Er befahl Bergie Quade, zusammen mit Köpckes Frau, am Totensonntag zur Kaffeestunde in die Villa, wahrhaftig zu Kaffee. Sitzen durften sie auch, zwar in den braunledernen Clubsesseln, der Ecke seines Kommandotisches gegenüber, das versuchten sie wettzumachen mit durchgedrücktem Kreuz und vornehmer Haltung der Beine, erwarteten sie doch ein Gespräch über ihre eigentümliche Buchführung. Vorgeschlagen wurde ihnen die
    Gründung
    einer Ortsgruppe
    einer Partei
    des Liberalismus
    (oder: der Liberalität) und
    der Demokratie
    Deutschlands,
    beschäftigt war Bergie noch mit einer träumerischen Beschwerde über die Entfernung des alten Bürgermeisters, Mining stak in einem fast neuen Kleid, im Rücken mit zwei Stegen geweitet, erworben dem verwitweten Duvenspeck zuliebe, sie fühlte sich neuerdings noch einmal als Frau, nun verpaßten sie ihre Einsätze, konnten sagen was sie wollten, wi sünt doch man bloß Frugnslüd, ich vertret mein Mann doch bloß, man doch bloß geschäftlich, Partei is man doch bloß für Intressen, man bloß unsre Männer sünt doch bei Ihnen, man bloß die Nachbarn, Herr Kommandant!
    –

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