Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Karbolineum hätte verlangen können. (Er mochte in Jerichow einen Zaun brauchen, aber keinen in der Sowjetunion?)
Ein Techniker, und wollte die Quadratmeter seines Zaunes mit einem Feldzirkel ausmessen und hatte seinen Spaß an dem so geschickten (wie ungenauen) Instrument, als habe er eine Drehlatte im Leben nicht gekannt!
Die Ehre der Roten Armee wollte er verteidigen, auch als Chef
des Feldamts
der Staatsbank
der Sowjetischen Okkupationstruppen
der Stadt Jerichow,
Vertreter seiner Nation gegen die deutsche, und verlangte nicht von der, sondern von Einzelnen ihr Gold und Silber, ihre englischen oder holländischen Aktien, das sämtliche Platinaufkommen in Jerichow (ob die Besitzer solche Werte nun am Krieg verdient hatten oder nicht, ob sie den Nazis nachgelaufen waren oder ferngeblieben), und gab die Pretiosen nicht seiner Nation, sondern behielt sie für sich selbst, tauschte sie ein gegen Spirituosen, verteilte sie an Gäste oder Untergebene. Wenn Cresspahl auf den Befehl Nummer 4 angesprochen wurde, konnte er Sachen sagen wie: Die Ernte gehe vor, und er selbst hatte nicht viel mehr ausgeliefert als seine verjährten Auszüge von der Sussex Bank of Richmond. Mit denen fand er jenen Rotarmisten, der Wassergahn genannt wurde, beim Feuermachen im Kamin der Ziegeleivilla, und ein oder zwei Pfund Sterling gingen der Roten Armee und ihrer Staatsbank dabei denn doch verloren. Cresspahl brachte das nicht vor, er mochte den Kerl mit dem unerfindlichen Namen nicht in Bestrafung reißen, er begriff die Sache mit der Ehre nicht.
Als die Rote Armee die Münzsammlung Dr. Kliefoths als Zahlungsmittel in Jerichow in Umlauf gebracht hatte, streckte Cresspahl dem Kommandanten zwei lübische Taler, Schwerin 1672, auf der blanken Hand hin, und K. A. Pontij pickte die Stücke auf wie ein Huhn, besah sich die neueren Biß-Scharten, steckte die musealen Moneten in seine Brusttasche. Chef des Feldamts war er. Cresspahl wurde bedeutet, daß die Deutsche Wehrmacht es so getrieben habe in K. A. Pontijs Vaterland, und was blieb ihm als Nicken. Damit aber hatte er die Rote Armee durch einen Vergleich mit den Faschisten beleidigt und sollte erschossen werden, sofort, zweckmäßig an der Friedhofsmauer! Cresspahl kam frei mit einer beiläufigen Erkundigung wegen der Straßennamen; er ging sich beschweren, als das dumme Kind Gesine ein Schmuckstück so selbstvergessen am Hals trug, daß eine nächtliche Plünderstreife es ihr abriß. Es war das Fünfmarkstück aus Kaisers Zeiten, das Lisbeth Cresspahl im Oktober 1938 bei Uhren-Ahlreep hatte zu einer Brosche fassen lassen, aus Trotz gegen die Goldräuberei der Nazis, und Cresspahl setzte seinem Major Pontij gegen zwei Uhr nachts den Unterschied zwischen Münze und Schmuck auseinander. K. A. Pontij nickte ernsthaft, so müde oder zufrieden war er, versuchte es einmal mit Schreien und schien erleichtert, als der Deutsche nicht nachgab. Er gab ihm recht. Zwei Tage später trat ein verlegener Rotarmist auf in Cresspahls Küche, winkte das Kind Gesine nach draußen und übergab ihr die Brosche, in ein seidenes Tuch verknotet. Iswini poshalujsta heißt: »Bitte entschuldige«, und nje plakatj bedeutet: »Nicht weinen«. Cresspahl ging sich bedanken bei Uhren-Ahlreeps, weil die den versteckten Besitz nicht angezeigt hatten, und K. A. Pontij erinnerte ihn noch nach Tagen mit so vergnügtem wie verschmitztem Lächeln daran, daß er die Ehre der Roten Armee ins Reine gebracht hatte.
Es gab Vertraulichkeiten. Cresspahl hatte wissen wollen, ob die Kommandantur einen Zaun auf Zeit oder dauerhaft wünschte, und K. A. Pontij enthielt ihm vor, ob er das Gelände zurückgeben würde, gleich an die Briten oder später an die Jerichower. (Daraufhin mußte Frau Köpcke die Pfosten unten schwerer mit Steinen einpacken.) Der Russe hatte geantwortet, mit einer fast mecklenburgischen Freude an der durchschauten und übersprungenen Falle: Auf E-ewicheit, Burgmister.
Könnten wir Cresspahl fragen! Der Umgang der beiden hatte, von einem Kind gesehen, oftmals die Manieren einer heftigen Freundschaft, taumelnd zwischen schlichter Treue ohne Bedingung, mörderischem Streit und innig-mürrischer Versöhnung. Ob Cresspahls Erinnerung heute so weit gekommen wäre?
Als Cresspahl mit den beiden fremden Karabinern 98k durch die Stadt gegangen war, kam er abends lange nicht nach Hause. K. A. Pontij hatte ihn mit Posten vom Rathaus holen lassen, und in der Ziegeleivilla wurde ein Fest daraus. Begrüßt wurde Cresspahl
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