Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
in Jerichow und hätte wissen mögen, was er da tat, und verstand K. A. Pontij kaum je.
Es war nicht die Sprache. Seit Anfang Juli gab es in Schwerin eine Sowjetische Militärische Administration für das Land Mecklenburg und Vorpommern, die verschickte ihre Befehle in deutscher Sprache, gezeichnet Generaloberst Fedjuninski, gegengezeichnet Generalmajor Skossyrew, und Nummer nach Nummer wurde Cresspahl in der Ziegeleivilla fertig zum Aufhängen ausgehändigt. Und K. A. Pontijs Deutsch, es mochte zum Lehren dieser Sprache nicht ausreichen, verständlich machte er sich damit, zumindest was er von den Jerichowern wollte. Und Cresspahl begriff ihn nicht. Sein Kind bekam kurze Antworten
Hei will dat so.
Dat kann hei doch nich daun.
De kann.
Worüm dest du’t denn?
He hett wunnen.
Is so winnen, Cresspahl?
’t sünd nige Tiden, Gesine. Nu –
und hörte bald auf zu fragen. (Das Kind war anders genug beschäftigt.)
Wenn Cresspahl es mit Militärischem versuchte, fand er etwas, gelegentlich. Hätte er in eine kleine Stadt ein befestigtes Quartier bauen sollen, ohne daß es leicht zu sehen war, ähnlich wie der sowjetische Kommandant hätte er es wohl angefangen. Vor dem Zaun standen harmlos die westlichen Häuser der Stadtstraße und konnten ihn nicht verraten. Die Mündung der Straße Bäk war mit bemaltem Holz verstellt, ohne Stacheldraht, von einer Pforte zu schweigen, das war geradezu ein blinder Fleck in der Stadt. Wer von Westen her ans sowjetische Fort wollte, er hätte ja reifes Korn niedertreten müssen. Im Südosten war der einzige Zugang, eine sandige Abzweigung, und sah aus wie ein Nebenweg, der zwischen Friedhofsmauer und Trockenschuppen ausläuft, nicht aber hinführt zu einer Militärkommandantur mit bewaffnetem Posten, Triumphbogen, und Stacheldraht. Cresspahl war 1917 nicht eben für den Besuch eines Lehrgangs zum Unteroffizier befördert worden, so hielt er Pontijs Anlage für ein Versteck strikt nach dem taktischen Buch.
Er hatte seinen Stadtkommandanten inzwischen zwei Wochen lang beobachten können, mitternachts wie frühmorgens, unter Anklage wie im Stand der vorläufigen Straffreiheit, und was immer er von da aus vor Augen bekam, zusammen brachte er es nicht. K. A. Pontij mit seinem muschelfarbenen Blick, ohne Brauen und mit stumpfer Naturglatze, schwerfällig von Alter oder Schulterschuß, er mochte in Cresspahls Jahren sein, wenig jünger. Das beständige, unachtsame Seufzen, es mochte aus Krankheit oder Trauer rühren, hinfällig machte es ihn nicht. Vielleicht stand er nicht mit dem Deutschen, weil der ihm noch dann auf die Schädelplatte blicken konnte, und nach einer Weile wurde Cresspahl das Hinsetzen befohlen, dienstlich. Er kam in die Tür, und K. A. Pontij hakte eigens für den Fremden die Uniform am Halse zu, womöglich der soldatischen Würde zuliebe. Solche Unterredungen wurden leicht Verhöre, Tribunale fast, denn K. A. Pontij streckte sich dann vor seinen zahlreichen Papieren, und neben ihm stand sein Leutnant stramm, manchmal die Hand auf der Pistolentasche, Adjutant und Staatsanwalt in einem. Ab und an dachte Cresspahl, Pontij wolle etwas nicht noch einmal verlieren, sei es die Uniform, sei es die Würde. In Zorn geraten, erhob sich Pontij und setzte stramm die Mütze auf. Er war mißtrauisch gegen den Deutschen, und es war Cresspahl recht, aber er wurde nicht mit Absetzung bedroht, sondern mit einem Stück Lebenslauf. Er sei wohl vertraut mit Problemen der Landwirtschaft: teilte Pontij mit, leise, scharf, gefährlich, unverhofft mit Zwinkern. Einem Techniker wie ihm könne man nichts vormachen: warnte Pontij in verächtlichem Ton, wechselte dann aber in nahezu brüderliches Zureden. Als zeitweiliger Absolvent der Frunse-Akademie stehe er für die Ehre der Roten Armee! verriet K. A. Pontij seinem Bürgermeister in offensichtlich blinder Wut, kurz vor der Verhängung von Arrest und Todesurteil, konnte dann Cresspahl mit eher vergnügten Blicken abschätzen und ihn aus der Audienz schicken wie ein ungezogenes Kind, das der Schrecken bessern wird. Cresspahl fand ihn nicht heraus, nicht einmal von außen.
Von einer Militär-Akademie, und sechzig Jahre alt, warum trug K. A. Pontij den Rang eines Majors, eine schmale Reihe Orden, und nichts weiter? Warum gab ihm seine Armee eine so geringfügige Stadt wie Jerichow?
Von bäuerlichen Eltern wollte er sein, und verwunderte sich über das Ankohlen von Zaunpfahlspitzen vor dem Eingraben, und wußte nicht, daß er Teeröl und
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