Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
mit dem allerersten Handschlag, bewirtet wurde er bis Mitternacht, und auf der Freitreppe beim Abschied schlug K. A. Pontij mehrmals daneben, ehe er Cresspahls Schulter so recht von Herzen traf.
Cresspahl lieferte sein Telefon ab, auch den Empfänger für das Volk, nur weil eine Strafe ihn und sein Haus schärfer anfassen würde als Leute, die den Befehl bloß gelesen hatten. Es war aber falsch, denn zwar sprach sein Kommandant von den vielen Telefonen und Mikroskopen, die Deutschland den Sowjets zu ersetzen habe, er wollte dennoch Cresspahl für klüger gehalten haben. Der Sozialismus sei nun einmal versprochen, und es werde kein Leben ohne Fernsprechen oder Funkhören sein. Für manche ja, aber Cresspahl müsse Pontij hören können, ob am Telefon oder am Radio. Diesmal gab es einen Handschlag zum Abschied, weil Cresspahl zu der Sache mit dem Sozialismus genickt hatte, und K. A. Pontij schickte ihm aus seinen persönlichen Vorräten den achtröhrigen Superhet, den die Flüchtlinge in Dr. Berlings Wohnung aus Dankbarkeit oder Aberglauben abgeliefert hatten. Nun stand das mächtige schwarzblaue Ding auf Cresspahls Schreibtisch, stumm, zusammen mit der Erinnerung an Lisbeths ersten Versuch und Dr. Berlings eigensinnigen Tod obendrein. Pontij kam nachsehen, ob sein Bürgermeister den Beweis des Vertrauens für Auserwählte etwa zum Gerümpel gestellt hatte.
Pontij kam zu Besuch. Nicht aufs Rathaus, an Cresspahls Bett. Ob es Mitternacht war oder zwei Stunden danach, er ließ ihn wecken, gab ihm zwei Minuten zum Anziehen, ließ sich seufzend mit ihm nieder zu einem Gespräch über solche Nächte dicht an der See, wenn alles so niedrig aussehe und doch der Himmel wie über Leningrad, wenn nicht höher. Aber wie Pontij in der Ziegeleivilla für Bewirtung sorgte, so sollte Cresspahl in seinem Haus den Gastgeber machen und neuerdings selbst den Wodka reichen. (Der Bürgermeister mußte nicht in eigener Person den Schwarzhandel betreiben, für den er auf seinen amtlichen Anschlägen Strafen anzudrohen hatte, das besorgte Jakob für ihn. Jakob hatte sage und schreibe Markenspirituosen vorrätig, versteckt an einer nie aufgefundenen Stelle im Haus, und Cresspahl mochte den Jungen nicht fragen. Nur daß Jakob einen Gegenwert hätte angeben sollen und nicht Mietverpflichtungen für seine Mutter und sich.) Und eines Morgens wachten Hanna und ich nicht auf von den Vögeln, sondern von dem Anblick zweier Herren, schwankend und finster in der Dämmerung, und der eine sagte in einer wunderlichen, überraschten Stimme: Djeti, djewuschki. Der andere bestätigte: Kinder. Mädchen: fremd und kantig sprechend, wie ein mechanisches Lexikon, und war mein Vater und hatte nächtlich getrunken wie mit einem Freund.
Er verstand ihn nicht. K. A. Pontij, Major der Roten Armee und Inhaber der Wissenschaft vom Atheismus, er erschien mit vier Mann Begleitung im sonntäglichen Gottesdienst, winkte gütig zur verstummten Orgel hinauf, ärgerlich bis sie wieder einsetzte, und ging wohlwollend umher zwischen den Bänken voller singender Leute und vollführte so lange Bewegungen eines Dirigenten, bis Pastor Brüshaver anfing zu predigen. Es fehlte nur, daß er sich vor die Gemeinde gesetzt hätte. Die Visitation durch die Uniformierten war nach acht Minuten beendet. Weiterhin besichtigte die Delegation den vorderen Teil des Friedhofs, und K. A. Pontij äußerte sich zu der schattigen Höhle, die die Bäume gegen die Julihitze hielten. Außerdem bemängelte er die ungepflegte Verfassung mancher Gräber. Am Montag verbot der Stadtkommandant per Befehl Nr. 11 jede weitere Beisetzung auf dem Friedhof, auch das Unterstellen von Leichen in der Kapelle am Ziegeleiweg. Als diese erste Kampfhandlung gegen die Mecklenburgische Landeskirche noch gar nicht am unteren Ende der Stadtstraße besprochen wurde, hatte Aggie Brüshaver ihrem Mann einen gewandten, fast galanten Besucher an den Schreibtisch zu führen, K. A. Pontij, Militärkommandant. Brüshaver erwartete ein Verbot des Gottesdienstes, und Pontij ließ sich die Liturgie erklären. Er sprach seine Vorfreude aus auf eine nächste Veranstaltung dieser Art. Er nahm mit Bedauern zur Kenntnis, daß die Nazis das Zink und Kupfer der neuen Glocken doch noch zu Zwecken des Geschützbaus zerschmolzen hatten. Eine Frage nach den Beerdigungen machte ihn augenblicks unwirsch, so als würde ihm eine Freundlichkeit böse vergolten. Als er ging, war Pastor Brüshaver vermeinend, der Petrikirche seien für demnächst
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