Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
in der Nacht vor ihrem Abzug dringlich hatten überreden wollen zum Mitkommen. (Das war Käthe Klupschs Nacht unterm Rathaus.) Sie werden es nicht bei ihm allein versucht haben. Sie verabschiedeten sich mit Lautsprecherwagen und empfahlen ihre Waffenbrüder jedermann außer nachweisbaren Nazis, aber im geheimen machten sie ihre Verbündeten nicht weniger zum Satan als die Amerikaner das taten. Zu einer Bande von –
– Untermenschen.
– Das Wort war zuverlässig vorhanden, und sogar K. A. Pontij benutzte es.
– Für Deutsche. Für einige Deutsche.
– Und in seiner Unschuld versuchte er auch dieses mit einem Befehl in die Reihe zu bringen. Er befahl zwölftens, daß der Krieg aus sei, nun dürfe die menschliche Gesittung wieder ihr Haupt erheben, so die Sitte des Grüßens. Es war nun jeder Angehörige der Roten Armee in Jerichow zu grüßen, auch stehende Kraftfahrzeuge, auf Verdacht.
– Und die Jerichower merkten, daß sie den österreichischen Gruß verlernt hatten. War das nicht eine Sache mit dem rechten Arm gewesen? Altrömisch?
– Und Cresspahl verstand Pontij nicht.
– Weil er Pontij nicht half, die Deutschen zu verstehen. Wenigstens einen von ihnen, Cresspahl nämlich.
– Oder nur diesen einen.
– Väter nimmt man in Schutz. Täte ich auch.
– Aber war nicht K. A. Pontij auch ein Gauner?
– I like crooks. Wenn sie nur ihren Teil nehmen und die Menschen sonst nicht beschädigen. Don’t you like crooks? Mochte Cresspahl sie nicht?
– Für Gauner hatte Cresspahl was übrig. Er war ratlos gegen sie, er machte mit ihnen nicht Geschäfte; kumpelhaft durfte es hergehen mit ihnen.
– Mußt einen ja nicht gleich ganz verstehen, Gesine. G’night.
27. April, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry,
die Freizeit hatte aber anders verschenkt werden sollen.
Es ist aber auch der Tag, an dem die Teilnehmer auswärtiger Kriege dem Lande ihre Treue zeigen wollen mit Paraden, in festlichen dunklen Uniformen, weißen Gamaschen, weiß banderoliert um Hüftlinie und Brust, plakettierte Käppis auf dem Kopf, Gewehr über der Schulter und die Fahnen von Verein und Staat in Köchern vorm Bauch. Mit ihnen werden marschieren die Kapellen katholischer Lehranstalten und militärisch gedrillte Oberschüler und Hafenarbeiter, die Vierte Avenue im Norwegerviertel von Brooklyn wie die Fünfte Avenue in Manhattan wird national ausgeschmückt sein, der Erzbischof wird vorangehen und mit dem Bürgermeister die Demonstration abnehmen. Der Marsch von heute, der zwanzigste seit 1948, soll aber gedenken des verstorbenen Kirchenfürsten Spellman, der den Krieg sehr liebte, und seit zwei Jahren gilt Loyalty Day Parade als Zeichen, das den amerikanischen Truppen in Viet Nam Mut machen soll, den Gegnern des Krieges jedoch eine drohende Faust zeigen. Wir hätten sie uns ansehen können.
Da war auch noch eine andere Wahl. Die New York Times zeigt uns auf ihrer Seite für Ernährung, Mode und Familie ein Bild des Ehepaars Scanlon, mit den Kindern Caitlin (5) und Rebecca (2), weil die Leute sich ein Haus in Brooklyn gekauft haben, Baujahr 1894, und es dennoch nicht abreißen, sondern konservieren und ein Entzücken finden an einem Badezimmer mit Wanne auf Klauenfüßen von damals, marmornem Waschbecken, Fenstern aus farbigem Glas und einer Klosettschüssel samt Kette zum Ziehen, alles echt, in New York City. Der irische Schnauzbart von John Scanlon könnte uns gefallen, die italienische Frau Scanlon noch mehr, und die Times gab uns die vollständige Adresse: 196 Berkeley Square. Mit der Subway bis Grand Army Plaza. Auch dahin wollte Marie nicht.
Sie hat sich gewünscht die Parade für den Frieden am Central Park, und für die Gelegenheit zog sie sich so bedachtsam an wie eine Erwachsene. Die Polizei wird da nicht fehlen, und man muß gut laufen können in seinen Sachen. Marie bestand darauf, daß die Mutter ihr Kleid wieder über den Kopf zog und Hosen anlegte, dazu ein altes blaues Baumwollhemd (das einen Polizeigriff aushalten würde. Das die dunkelhäutigen Friedensmarschierer aus Harlem nicht kränken würde). So wehrsam gekleidet, in vorbedacht ungeputzten Sportschuhen, stand auch Marie am Ende da und besah sich und lernte vom Spiegel, daß sie ihre Zöpfe wieder auflösen sollte und das Haar nur festhalten mit einem schwarzen Band um den Kopf. (Aufstand der Shawnees unter Tecumseh, 1811.) So zogen wir die 95. Straße hinauf, weiße Squaw und halbwüchsiges, sehniges, blondhaariges Indianermädchen.
An der Ecke der
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